Sicherheit ist ein menschliches GrundbedĂŒrfnis wie Nahrung und WĂ€rme, sie ist aber auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Warum? Wenn sich Menschen einer Bedrohung ausgesetzt fĂŒhlen, sind sie oft nicht in der Lage, sich sozial zu verhalten. Der ErfĂŒllung des BedĂŒrfnisses nach Sicherheit wird alles andere untergeordnet. Der Mensch verhĂ€lt sich dann hĂ€ufig egoistisch und aggressiv, er wird zur Bedrohung fĂŒr andere. Auch Staaten haben ein BedĂŒrfnis nach Sicherheit. Und auch bei Staaten kann die fehlende Sicherheit des einen Staats schnell zum Sicherheitsproblem der anderen Staaten werden. Die Menschheit hat lange gebraucht, um diesen Zusammenhang zu verstehen. Wie sie darauf reagiert hat, sehen wir uns in diesem Kapitel an.
1. Was ist Sicherheitspolitik?
Staaten und Sicherheit
Wovor âfĂŒrchtenâ sich Staaten? Genau wie Menschen fĂŒrchten sich Staaten vor Dingen, die ihre Existenz gefĂ€hrden. Bei Staaten kann diese Bedrohung von innen kommen, etwa durch KriminalitĂ€t, Korruption, Revolution oder Terrorismus â sie ist dann ein Fall fĂŒr die Innenpolitik und Justiz, fĂŒr Polizei, Inlandsgeheimdienste, StaatsanwĂ€lte und Richter. Oder diese Bedrohung kommt von auĂen: etwa die militĂ€rische Bedrohung der eigenen Grenzen, die Bedrohung des eigenen Wohlstands durch Handelsschranken und Sanktionen, die Möglichkeit der kompletten Vernichtung durch den Einsatz von Atomwaffen. Um solchen Bedrohungen zu begegnen, bedienen sich Staaten der Verteidigungs- und AuĂenpolitik.
Galerie: Beispiele fĂŒr Organe der deutschen Sicherheitspolitik
Quelle
Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt
Quelle
Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt
Hinweis: In Folge der islamistischen TerroranschlĂ€ge vom 11.9.2001 u. a. auf das World Trade Center in New York begann eine internationale Koalition unter FĂŒhrung der USA den Afghanistan-Krieg, mit dem offiziellen Ziel, die dort herrschenden radikalislamischen Taliban zu stĂŒrzen und in Afghanistan demokratische Strukturen aufzubauen. Deutschland beteiligte sich an dieser Koalition. Am 20.12.2002 rechtfertigte der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck in einer Rede vor dem Bundestag den Einsatz deutscher Soldaten âam Hindukuschâ (einem Gebirge in Afghanistan).
Um zu verdeutlichen, worum es wirklich geht, habe ich davon gesprochen, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Deutschland ist sicherer, wenn wir zusammen mit VerbĂŒndeten und Partnern den internationalen Terrorismus dort bekĂ€mpfen, wo er zu Hause ist, auch mit militĂ€rischen Mitteln. Unsere Sicherheit wird gröĂer, wenn sich die Bundeswehr mit Erfolg am Wiederaufbau unter demokratischen Vorzeichen auf dem Balkan und in Afghanistan beteiligt, indem sie hilft, dort das dringend benötigte sichere Umfeld zu schaffen.
Wo wĂ€ren wir denn heute in Europa, wenn die Bundeswehr sich nicht ĂŒber Jahre im multinationalen Verbund im kriegs- und bĂŒrgerkriegszerrissenen SĂŒdosteuropa engagiert hĂ€tte? Ein zeitgemĂ€Ăes VerstĂ€ndnis von Sicherheit und Verteidigung hat zum Ziel, Bedrohungen und Krisen durch gemeinsames Handeln auf Distanz zu halten. Verteidigung heute umfasst mehr als Verteidigung an den Landesgrenzen, wobei Landesverteidigung grundsĂ€tzlich auch weiterhin möglich sein muss. Aber zeitgemĂ€Ăe Verteidigung umfasst die VerhĂŒtung von Konflikten und Krisen.
auf dem Balkan/im kriegs- und bĂŒrgerkriegszerrissenen SĂŒdosteuropa: Struck spielt dabei auf die Beteiligung der Bundeswehr an KampfeinsĂ€tzen im Kosovokrieg (1998/99) und der UN-Friedensmission auf dem Balkan an.
Aufgabe
Deutsche Sicherheitspolitik in Afghanistan
- Vollziehen Sie Strucks Argumentation im obigen Quellenkasten in eigenen Worten nach. Wie begrĂŒndet er, dass ein MilitĂ€reinsatz in Afghanistan sinnvoller Teil der deutschen Sicherheitspolitik sei?
- WĂ€re nach Strucks Argumentation der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr Teil der inneren oder Ă€uĂeren Sicherheitspolitik Deutschlands, oder beider? BegrĂŒnden Sie Ihre Antwort.
FrĂŒhe internationale Sicherheitspolitik
§
Darstellung
Beispiel: Antike griechische Sicherheitspolitik
Darstellung
Beispiel: Antike griechische Sicherheitspolitik
Ein bekanntes historisches Beispiel fĂŒr BĂŒndnispolitik sind die Perserkriege der griechischen Stadtstaaten gegen das persische GroĂreich im 5. Jh. v. Chr.: Als die persischen GroĂkönige Dareios I. und Xerxes I. versuchten, die griechischen Stadtstaaten durch Eroberung in ihr Reich einzugliedern, schlossen sich viele griechische Stadtstaaten im sogenannten âHellenenbundâ zusammen, um den viel stĂ€rkeren Gegner gemeinsam zu besiegen. Selbst die notorischen Konkurrenten Athen und Sparta waren vor dieser Bedrohung bereit, militĂ€risch zusammenzuarbeiten.Â
Der Hellenenbund gewann mehrere Schlachten und die Perser zogen sich zurĂŒck. Athen nutzte diesen Sieg und seine gewonnene militĂ€rische StĂ€rke, um durch BĂŒndnisvertrĂ€ge, aber auch militĂ€rische Drohungen und Eroberungen den âattischen Seebundâ aufzubauen und so zur gröĂten griechischen Seemacht aufzusteigen. Der alte Konkurrent Sparta reagierte auf diese Machtausdehnung Athens mit dem âPeloponnesischen Bundâ, in dem er vor allem auf dem griechischen Festland andere Stadtstaaten zum BĂŒndnis ĂŒberredete oder zwang.Â
Die Konkurrenz der beiden BĂŒndnissysteme eskalierte im Peloponnesischen Krieg (431â404 v. Chr.), den die Spartaner zwar letztendlich fĂŒr sich entscheiden konnten, der aber so lange und verlustreich gewesen war, dass er beide Konkurrenten stark geschwĂ€cht zurĂŒcklieĂ. So wurden sie zur leichten Beute fĂŒr das aufstrebende Nachbarreich Makedonien, dessen König Philipp II. einen GroĂteil der griechischen Stadtstaaten nach Eroberung und Drohung zum âKorinthischen Bundâ zusammenschloss, in dem vor allem der makedonische König das Sagen hatte.
Philipp und sein Sohn und Nachfolger Alexander (der GroĂe) erkannten, dass es zum Zusammenhalt all dieser unruhigen griechischen Stadtstaaten wieder vor allem einer Sache bedurfte: eines gemeinsam Feindes. So begann Alexander 334 v. Chr. einen Krieg gegen den alten Feind Persien, der als Alexanderzug bekannt werden sollte.
Aufgabe
Griechische Sicherheitspolitik
- Beurteilen Sie den Erfolg der Sicherheitspolitik des Stadtstaats Athen im 5. Jahrhundert und gehen Sie dabei auf die folgenden Ziele ein und erörtern Sie die Frage, inwieweit sich diese Ziele gegenseitig widersprechen oder gemeinsam umsetzbar sind:
- UnabhÀngigkeit
- Friedenssicherung
- Machtausdehnung
- Entwickeln Sie eine alternative Sicherheitspolitik fĂŒr Athen, die es erlaubt hĂ€tte, eines der angegebenen Ziele besser umzusetzen.
Es braucht mehr als zwei Partner
§
Aufgabe
Sicherheitspolitik auf dem Wiener Kongress
- Sehen Sie sich das Video an und erklĂ€ren Sie in eigenen Worten, wie die Ergebnisse des Wiener Kongresses das SicherheitsbedĂŒrfnis der teilnehmenden Staaten befriedigte.Â
- Eine zeitgenössische Kritik am Wiener Kongress, die auch im Video auftaucht, war, dass der Kongress âdie Uhren zurĂŒckdrehteâ, die Macht der FĂŒrsten festigte und demokratische Entwicklungen bekĂ€mpfte. War dies aus sicherheitspolitischer Perspektive ein Problem? BegrĂŒnden Sie Ihre Antwort.
Darstellung
Vertiefung: Sicherheitspolitik und Kolonialismus
Darstellung
Vertiefung: Sicherheitspolitik und Kolonialismus
Das Radiofeature oben zeigt es ziemlich deutlich: Sicherheitspolitik muss nicht zwangslĂ€ufig im Dienst der AufklĂ€rung, Freiheit und des Menschheitsfortschritts stehen. Das Ziel von Sicherheitspolitik ist es, die BedĂŒrfnisse der teilnehmenden Staaten auf einem nicht-kriegerischen Wege zu befriedigen. Ăber die LegitimitĂ€t oder gar MoralitĂ€t dieser BedĂŒrfnisse sagt das noch nichts aus. Die meisten europĂ€ischen Staaten hatten im 19. Jahrhundert ein 'BedĂŒrfnis' nach Kolonien in Afrika. Diese BedĂŒrfnisse standen jedoch oft im Widerspruch zueinander. Dass es Otto von Bismarck 1885 gelang, auf der Kongokonferenz einen Ausgleich zwischen diesen BedĂŒrfnissen zu erreichen, war sicherheitspolitisch ein Erfolg, denn es verhinderte bewaffnete Konflikte zwischen den europĂ€ischen MĂ€chten.
Das VerfĂŒgen ĂŒber und Verteilen von groĂen Teilen Afrikas in einem Berliner Konferenzsaal war darĂŒber hinaus natĂŒrlich ein rassistischer und anmaĂender Akt, der groĂes Leid ĂŒber den Kontinent brachte. Weswegen man aus einer nicht sicherheitspolitischen Perspektive natĂŒrlich ganz anders ĂŒber die Konferenz urteilen kann und sollte.
Aus Konferenzen werden Organisationen
§
Quelle
Die Ziele der UNO
Quelle
Die Ziele der UNO
Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
- den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame KollektivmaĂnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhĂŒten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere FriedensbrĂŒche zu unterdrĂŒcken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch fĂŒhren könnten, durch friedliche Mittel nach den GrundsĂ€tzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;
- freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete MaĂnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;
- eine internationale Zusammenarbeit herbeizufĂŒhren, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitĂ€rer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten fĂŒr alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;
- ein Mittelpunkt zu sein, in dem die BemĂŒhungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden.
Der Aufstieg der 'internationalen Organisationen'
§
Darstellung
Die Videolehrkraft als Text
Darstellung
Die Videolehrkraft als Text
In der zweiten HÀlfte des 20. Jahrhunderts entstanden neben den Nationalstaaten eine Reihe von Organisationen und Einrichtungen, deren Ziel es u. a. ist, internationale Sicherheitspolitik mitzugestalten. Wir unterscheiden solche Organisationen in
- Nichtregierungsorganisationen,
- ĂŒberstaatliche (supranationale) Organisationen und
- zwischenstaatliche (internationale) Organisationen
Bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) handelt es sich um zivilgesellschaftliche Akteure, die sich meistens durch Spenden und Stiftungen finanzieren. Sie haben konkret definierte Ziele (z. B. Umweltschutz, BekĂ€mpfung von Korruption oder Armut) und arbeiten oft international mit Standorten in mehreren Staaten. Bekannte internationale NGOs sind z. B. Amnesty International, Human Rights Watch und Ărzte ohne Grenzen.
Ăberstaatliche und zwischenstaatliche Organisationen bestehen beide aus Staaten. Der Unterschied ist, dass ĂŒberstaatliche Organisationen Kompetenzen nationaler Regierungen ĂŒbernehmen. Mitgliedsstaaten solcher Organisationen geben also einen Teil ihrer SouverĂ€nitĂ€t an die Organisation ab. Wohingegen zwischenstaatliche Organisationen ZusammenschlĂŒsse von Staaten zu einem konkreten Zweck sind.
Bekannte ĂŒberstaatliche Organisationen sind z. B. die EU, die Afrikanische Union (AU) oder die Organisation SĂŒdostasiatischer Staaten (ASEAN).
Bekannte zwischenstaatliche Organisationen sind z. B. die NATO, die OSZE und viele UN-Organisationen wie der IWF oder das UNHCR.
Aufgabe
Inter- oder supranational?
- Die NATO wird generell als internationale Organisation charakterisiert. Finden Sie Argumente dafĂŒr, dass es sich bei ihr eigentlich um eine supranationale Organisation handelt. Beziehen Sie sich dabei auf die Definition im Text oben und den NATO-BĂŒndnisfall (Art. 5 des Nordatlantikvertrags).Â
- Die Mitgliedschaft in einer supranationalen Organisation wie der EU bedeutet einen Verlust an SouverĂ€nitĂ€t. Finden Sie GrĂŒnde dafĂŒr, dass trotzdem viele Staaten eine solche Mitgliedschaft anstreben.Â
Beispiele
Aufgabe 1
Internationale Organisationen
WĂ€hlen Sie eine internationale Organisation aus, die auch im Bereich der Sicherheitspolitik tĂ€tig ist (drei Beispiele dafĂŒr finden Sie oben, Sie können aber natĂŒrlich auch ein anderes Beispiel wĂ€hlen).
Recherchieren Sie selbststÀndig zu dieser Organisation und verfassen Sie einen kurzen Steckbrief:
- Kategorisieren Sie die Organisation (supra, inter oder NGO).
- Listen Sie ihre wichtigsten TĂ€tigkeitsfelder sowie MaĂnahmen und Handlungsmöglichkeiten auf.
- Nennen Sie ein konkretes Beispiel, bei dem die Organisation Einfluss auf internationale Sicherheitspolitik genommen hat.
Aufgabe 2
âInternationale Sicherheitspolitik wird nach wie vor von Nationalstaaten gestaltet, internationale Organisationen spielen eine untergeordnete und oft rein symbolische Rolle.âÂ
Nehmen Sie zu dieser Aussage am Beispiel der von Ihnen untersuchten Organisation kritisch Stellung.