4 Demokratie und Diktatur

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Urheber: Sora Shimazaki

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Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Fortschritt, ... was wiegt schwer, was wiegt leicht?

4 Demokratie und Diktatur

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1917/18 begann in Russland und Deutschland etwas völlig Neues. In Russland wurde die alte Monarchie von einer kommunistischen Diktatur abgelöst, in Deutschland von einer Demokratie. Die Demokratie scheiterte nach 15 Jahren, die Diktatur festigte und stabilisierte sich – unter großen Menschenopfern und schrecklicher Gewalt wurde die Sowjetunion eine moderne und mĂ€chtige Industrienation. FĂŒr mich ist diese Entwicklung schwer zu ertragen. Und sie wirft unangenehme und beĂ€ngstigende Fragen auf. War die Diktatur die 'bessere' Regierungsform? In diesem Modul will ich dieser beĂ€ngstigenden Frage mit euch zusammen nachgehen.

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Aufgabe

Zusammenfassung und Erinnerung

Was sind die Unterschiede zwischen einer Demokratie und einer Diktatur? Ordne die verschiedenen Aussagen unten entweder der Demokratie oder der Diktatur zu.

4.1 Was sind Weimarer VerhÀltnisse?

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Berlin, Kapp-Putsch, Putschisten
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-J0305-0600-003

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-J0305-0600-003,_Berlin,_Kapp-Putsch,_Putschisten.jpg

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Gewalt auf der Straße – Weimarer VerhĂ€ltnisse

Wenn heute irgendjemand von 'Weimarer VerhĂ€ltnissen' spricht, ist damit nichts Gutes gemeint. Man denkt dann an politische Radikalisierung und Zersplitterung, an Unsicherheit der LebensverhĂ€ltnisse und Wut in der Bevölkerung. Von der Weimarer Republik zu lernen, heißt heute meistens, zu versuchen, ihre Fehler zu vermeiden.

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Wertseite der von der Bundesrepublik Deutschland anlĂ€sslich 100 Jahre Frauenwahlrecht am 17. Januar 2019 ausgegebenen GedenkmĂŒnze.
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Urheber: Sven.petersen

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:0413_-_20_Euro_GM_Deutschland_100_Jahre_Frauenwahlrecht_Bildseite.jpg

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Vor etwas ĂŒber 100 Jahren endlich Frauenwahlrecht – Weimarer VerhĂ€ltnisse

'Weimarer VerhĂ€ltnisse' könnten fĂŒr uns aber auch etwas anderes bedeuten. Dass heute alle MĂ€nner und Frauen ab 18 wĂ€hlen dĂŒrfen, sind Weimarer VerhĂ€ltnisse. Dass wir Grundrechte in unserer Verfassung haben, sind Weimarer VerhĂ€ltnisse. Dass der Staat nicht ĂŒberall mitbestimmen darf, dass er Grenzen hat, die er respektieren muss, sind Weimarer VerhĂ€ltnisse. In unserer heutigen, zweiten deutschen Demokratie steckt noch viel aus der ersten, der Weimarer Demokratie.

Information fĂŒr LehrkrĂ€fte

Material: Wir Deutschen und die Demokratie

An dieser Stelle empfiehlt es sich, den Dokumentarfilm „Wir Deutschen und die Demokratie“ fĂŒr die gesamte Klasse zu prĂ€sentieren. Sie können den Film hier aufrufen. FĂŒr SchĂŒlerinnen und SchĂŒler ist der Link nicht zugĂ€nglich.

Wir Deutschen und die Demokratie Doku HD
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Aufgabe – StĂ€rken und SchwĂ€chen

  1. Sieh dir die ersten 20 Minuten der Dokumentation „Wir Deutschen und die Demokratie“ an. Finde drei StĂ€rken und drei SchwĂ€chen der Weimarer Republik, die genannt werden, und notiere sie.
  2. WĂ€ge ab, welches fĂŒr dich die grĂ¶ĂŸte StĂ€rke und die schlimmste SchwĂ€che der Weimarer Republik ist. BegrĂŒnde dein Ergebnis und nutze dafĂŒr auch Argumente aus den vorhergehenden Modulen.

4.2 Weimar aus heutiger Sicht

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Meeting with the President of Germany
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Urheber: http://www.president.gov.ua/

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Frank-Walter_Steinmeier_-_2018.jpg

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Zum 100-jÀhrigen Geburtstag der Weimarer Republik hielt BundesprÀsident Frank-Walter Steinmeier (hier auf einem Bild von 2018) in Weimar eine Rede. In ihr ging es um das VerhÀltnis unserer heutigen Demokratie zu ihrer Weimarer VorgÀngerin.

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Darstellung

Auszug aus der Rede des BundesprĂ€sidenten Frank Walter Steinmeier zum Festakt „100 Jahre Weimarer Reichsverfassung“ am 6.2.2019

[...]

Diese Weimarer Verfassung machte das Deutsche Reich zur Republik und das Volk zum SouverÀn. Sie verbriefte die Freiheit des Einzelnen und sie entwarf, inmitten der Nachkriegsnot, die Vision einer besseren, gerechteren Gesellschaft.

Wer heute in dieser Verfassung blÀttert, der staunt, wie fortschrittlich viele ihrer Ziele waren und wie aktuell sie immer noch klingen. Ja, es war wahrhaft revolutionÀr, was da geschrieben stand.

Artikel 119: Die Ehe „beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter“.

Artikel 146: „FĂŒr die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.“

Artikel 151: Die Ordnung der Wirtschaft „muss den GrundsĂ€tzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der GewĂ€hrleistung eines menschenwĂŒrdigen Daseins fĂŒr alle entsprechen“.

Welch kraftvolle, hoffnungsfrohe Ideale in einer so entbehrungsreichen Zeit!

„Eine Fackel ist die Weimarer Verfassung. Wir wollen sie hochhalten“, ruft Heinrich Mann 1923, vier Jahre nach ihrem Inkrafttreten. Heute wissen wir: Am Hochhalten hat es bitterlich gemangelt. Aber ich finde, Leuchtkraft hat diese Fackel sogar heute noch!

[...]

Ich will nur vor zwei KurzschlĂŒssen warnen. Erstens: Das Lob unserer heutigen Verfassung bedeutet nicht, dass ihre Vorfahrin aus Weimar eine schlechte gewesen wĂ€re! Im Gegenteil, vieles von dem, was damals entstand, lebt heute im Grundgesetz fort. Weimars Ideale von Freiheit und Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit sind eben nicht historisch gescheitert, sondern sie sind – zum GlĂŒck! – fester und wehrhafter eingelassen in das Fundament unserer Republik!

Und zweitens: Das Lob unserer heutigen Verfassung bedeutet schon gar nicht, dass wir uns zurĂŒcklehnen könnten! „Keine noch so kluge Verfassung“, schreibt der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio, kann „vor dem Versagen der Demokratie, vor ihrer Selbstzerstörung schĂŒtzen“ – ob sie nun eine Folge aktiven Handelns oder eine Folge von Lethargie und GleichgĂŒltigkeit ist.

Nein, meine Damen und Herren, solange Parlamente als „Quatschbuden“ verschrien werden; solange politisch Engagierte, BĂŒrgermeister oder OberbĂŒrgermeister mit Worten oder sogar mit physischer Gewalt angegriffen werden; solange Menschen den Glauben an den Wert der Demokratie verlieren, können wir uns nicht zurĂŒcklehnen!

Denn: So wenig der Demokratie vor hundert Jahren ihr Scheitern vorherbestimmt war, so wenig ist heute ihr Gelingen garantiert.

Lethargie: hier: Tatenlosigkeit

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Aufgabe – Unser Blick auf Weimar

  1. Steinmeier fĂŒhrt in seiner Rede drei Artikel der Weimarer Verfassung auf. Nenne sie und beschreibe ihren Inhalt mit eigenen Worten.
  2. Wird das, was diese Artikel fordern, heute noch in der BRD umgesetzt? BegrĂŒnde deine Antwort.
  3. ErklĂ€re die beiden 'KurzschlĂŒsse', vor denen Steinmeier am Ende seiner Rede warnt. Gehe dabei vor allem auf die beiden letzten AbsĂ€tze ein.

4.3 Was sagen Russen heute zum Stalinismus?

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Yury Dud in Nizhnekamsk
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Urheber: UNIVER TV

https://en.wikipedia.org/wiki/Yury_Dud#/media/File:Yury_Dud_in_Nizhnekamsk.jpg

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Juri Dud 2017

Jedes Land hat ein besonderes VerhĂ€ltnis zu seiner eigenen Geschichte. Jeder kann sich ĂŒber geschichtliche Ereignisse ĂŒberall auf der Welt informieren. Aber wenn diese Ereignisse etwas sind, das deine Vorfahren und die Vorfahren deiner Mitmenschen selbst erlebt haben, werden diese Ereignisse in deinem Alltag eine andere Rolle spielen. Um den Stalinismus beurteilen und verstehen zu können, ist es wichtig, russische Perspektiven auf den Stalinismus zu bekommen. Aber wie macht man das als Deutscher, der vielleicht ĂŒberhaupt kein Russisch spricht oder versteht?

FĂŒr dieses Modul stĂŒtzen wir uns dabei auf zwei Quellen: den russischen Journalisten und Videoblogger Juri Dud und das Internetportal dekoder.org. Zu beiden findest du unten einen kurzen Infokasten. 

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Darstellung

Wer ist Juri Dud?

Seit Februar 2017 ist die russische Medienszene um einen YouTube-Kanal und Medienstar reicher. vDud (rus. „ĐČДуЮь“) heißt das Interview-Projekt des Sportjournalisten und Bloggers Juri Dud, das drei Jahre nach seinem Start ĂŒber sieben Millionen Abonnenten und ĂŒber 925 Millionen Aufrufe vorweisen kann. [...]

Die Erfolgsstrategien von Duds YouTube-Projekt sind einfach, transparent und unverhohlen kommerziell. Dies schmĂ€lert jedoch keineswegs seine gesellschaftliche und politische Bedeutung. [...] Dud [formuliert] seine Kritik am heutigen Fernsehen deutlich und schonungslos: „Wir sind es gewohnt, dass das Fernsehen eine Schande ist. Das wichtigste Massenmedium des Landes lĂŒgt, fĂŒgt Schaden zu, bereitet die Bevölkerung auf den Krieg vor und kommuniziert mit den Menschen in einer toten Komsomol-Sprache.“ [...]

Die Auswahl der GĂ€ste wie auch die Diskussionsthemen zeigen, dass Dud einerseits seine eigene Generation und vor allem junge Menschen ansprechen will, wĂ€hrend er andererseits ĂŒber seine Diskussionspartner die jĂŒngere Vergangenheit des Landes ergrĂŒndet. Das Interesse an der Zeit und den Personen, die ihn persönlich geprĂ€gt haben, verpackt er hĂ€ufig in bewusst naive, mitunter provokative, jedenfalls aber ungewohnt direkte Fragen. Gerade dies verleiht den Interviews eine Lebendigkeit, NatĂŒrlichkeit und Aufrichtigkeit, die man im Fernsehen mittlerweile klĂ€glich vermisst.

Hinweis und Nachtrag: Nach Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar 2022 wurde Dud in Russland auf die Liste der „auslĂ€ndischen Agenten“ gesetzt. Er verließ das Land und lebt und arbeitet momentan [06.05.2022] in der TĂŒrkei.

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Darstellung

Was ist dekoder.org

Hinweis: Der Text stammt von der Wikipedia-Seite zu dekoder.org

Die Internetplattform dekoder.org (Eigenschreibung: ĐŽekoder oder dekoder bzw. dekoder.org) verbindet russischen und belarussischen Journalismus in deutscher Übersetzung mit [...] BeitrĂ€gen europĂ€ischer Wissenschaftler. Der Slogan der Website lautete Russland entschlĂŒsseln, [...].

Ziele

dekoder hat sich zum Ziel gesetzt, die im deutschsprachigen Raum gefĂŒhrten Russland- und Belarus-Debatten durch journalistische Stimmen aus den LĂ€ndern selber zu bereichern und diese Stimmen durch Kontextualisierung fĂŒr nicht-russischsprachige Leser verstĂ€ndlich zu machen. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf unabhĂ€ngigen, nicht vom russischen/belarussischen Staat finanzierten und kontrollierten Internet-Medien. [...]

Finanzierung

Die dekoder-gGmbH als TrĂ€gerorganisation ist eine gemeinnĂŒtzige GmbH mit den Satzungszielen VölkerverstĂ€ndigung und Bildung. Das Projekt wird durch Spenden getragen, das Internet-Angebot ist kostenfrei. Das Portal ist unabhĂ€ngig von staatlicher Finanzierung und nimmt keine Förderung von Parteistiftungen an.

4.4 Aussagen zum Stalinismus

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Darstellung

'Ein Loblied auf Stalin' (2018)

Hinweis: Der folgende Text ist eine Abschrift der deutschen Übersetzung eines Interviews, das der russische Journalist und Videoblogger Juri Dud 2018 mit Pawel Grudinin fĂŒhrte. Grudinin war damals Kandidat der kommunistischen Partei Russlands fĂŒr die PrĂ€sidentschaftswahl. 
Die Übersetzung stammt von der Website dekoder.org, die hier auch das komplette Interview auf YouTube kommentiert und verlinkt hat.

Dud: Der beste StaatsfĂŒhrer Russlands in den letzten 100 Jahren war Ihrer Meinung nach?

Grudinin: Stalin.

Dud: Warum? 

Grudinin: Wer denn sonst, wenn man Lenin mal außen vor lĂ€sst? [
] Stalin hat fĂŒr das Land ein jĂ€hrliches BIP-Wachstum von 15 Prozent erreicht, wissen Sie, was das heißt? China hat momentan 6 bis 7 Prozent, der weltweite Schnitt liegt bei 3. Stalin hat aus einem Land der Analphabeten ein Land mit der besten Bildung gemacht. Und er hat in ziemlich kurzer Zeit – denken Sie an 1945, alles lag völlig in TrĂŒmmern – und er hat das Land so aufgebaut, dass sie in den Kosmos gestartet sind. 

Dud: Wer hat nochmal die Fabriken in Magnitogorsk und anderswo gebaut?

Grudinin: SowjetbĂŒrger

Dud: Ich glaube, Sie haben da ein Wort vergessen.

Grudinin: Nein, es waren SowjetbĂŒrger.

Dud: Gefangene SowjetbĂŒrger.

Grudinin: Moment mal bitte. Wer hat denn Sankt Petersburg errichtet? Kennen Sie den Satz, dass Sankt Petersburg auf den Knochen von Bauern gebaut ist?

Dud: NatĂŒrlich. Aber wir reden gerade nicht ĂŒber Peter den Großen. Wir reden darĂŒber, dass das, was Sie gerade erzĂ€hlen wollen, von wegen; „Er bekam [das Land] mit einem Holzpflug und hinterließ es mit einer Atombombe“ – das wurde doch alles von Knackis gemacht.

Grudinin: Ein Chef muss so handeln, dass es in seinem Betrieb oder Land mehr Gutes gibt, mehr Ehrlichkeit. Aber den Chef fĂŒr alles verantwortlich zu machen, was im Land oder im Betrieb passiert, ist sinnlos. Denn kennen Sie den Satz: „Sicher war Stalin irgendwo auch im Unrecht. Aber irgendwer hat doch die 5 Millionen Denunziationen geschrieben?“ [
]

Dud: Wenn es Stalin nicht gegeben hÀtte, hÀtte man niemandem schreiben können.

Grudinin: Was meinen Sie?

Dud: Naja, wenn niemand die Schwachen, die AnschwĂ€rzer und Denunzianten in Angst und Schrecken gehalten hĂ€tte, hĂ€tte es auch keine Adressaten fĂŒr diese Schreiben gegeben.

Grudinin: Juri, Sie sind das Opfer von Propaganda. Noch einmal: Meine GroßvĂ€ter und GroßmĂŒtter haben unter Stalin gelebt. Und sie hatten ĂŒberhaupt keine Angst. 

Dud: Hebt das denn das andere auf? [...]

BIP: Bruttoinlandsprodukt; darin wird der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land im Jahr produziert und erbracht werden, zusammengezÀhlt. Wichtige Zahl, um die Wirtschaftskraft eines Landes zu bestimmen.
Peter der Große (1672–1725): erster Zar Russlands, ließ die Stadt Sankt Petersburg in einem Sumpfgebiet erbauen, dabei starben viele der eingesetzten Arbeiter.
Knackis:
umgangssprachliches Wort fĂŒr Gefangene
Denunziationen: denunzieren heißt, jemanden anschwĂ€rzen, beschuldigen

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Darstellung

Wie wirkt der Stalinismus heute noch nach?

Der Journalist und Videoblogger Juri Dud in seinem Film 'Kolyma' ĂŒber die Frage, warum er diesen Dokumentarfilm ĂŒber das stalinistische Straflagersystem in Ostsibirien ĂŒberhaupt mache:

Grund Nummer 1: Im Oktober 2018 veröffentlichte VTsIOM eine Untersuchung, die uns erschĂŒtterte. Fast die HĂ€lfte der jungen Russen zwischen 18 und 24 Jahren hatten noch nie von den stalinistischen Repressionen gehört. Das sahen wir als Herausforderung an und warteten auf den richtigen Zeitpunkt, sie anzunehmen.

Grund Nummer 2: Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe mein ganzes Leben meine Eltern SĂ€tze sagen hören wie: „Sei vorsichtig. Errege keine unnötige Aufmerksamkeit. Fall nicht auf. Wir sind nur einfache Leute – wir halten uns da raus.“ Meine Eltern sind wunderbare Menschen und ich liebe sie ĂŒber alles. Aber sie wiederholen diese Dinge seit Jahrzehnten, selbst in Momenten, wo die Vernunft offensichtlich mit FĂŒĂŸen getreten wird, in denen die Ungerechtigkeit siegt und wir glasklar im Recht wĂ€ren. Ich habe mich immer gefragt: Woher kommt diese Furcht in der Ă€lteren Generation? Woher kommt dieser Wunsch, alles mit einem grauen Mantel zu bedecken? Warum gehen sie selbstverstĂ€ndlich davon aus, dass auch nur das kleinste bisschen Mut sofort bestraft werden wird? Meine Theorie ist, dass diese Furcht in der ersten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts geboren wurde und dass sie von Generation zu Generation weiter nach uns greift. Einer der Orte, aus denen diese Furcht stammt, ist Kolyma.

VTsIOM: russisches Meinungsforschungsunternehmen
Kolyma: eigentlich ein Fluss in Ostsibirien. Hier aber Bezeichnung fĂŒr die Region um diesen Fluss, in der unter Stalin zahlreiche Straflager eingerichtet wurden.

Hinweis: Dieser Text stammt von der Seite dekoder.org, du findest den vollstÀndigen Text hier. Der Film 'Kolyma' von Juri Dud ist vollstÀndig (russisch mit englischen Untertiteln) und als Trailer (russisch mit deutschen Untertiteln) auf YouTube zu sehen.

Juri Dud, Kolyma, youtube.com/watch?v=oo1WouI38rQ&t=3s englische Untertitel von 2:20 bis 3:30, Übersetzung aus dem Englischen von Lukas Epperlein

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View from Dukat Mine
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Urheber: ĐĐœĐŽŃ€Đ”Đč ĐšŃƒĐżĐŸĐ»ĐŸĐČ

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:View_from_Dukat_Mine_-_panoramio.jpg

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Die Region Kolyma ist nach einem ostsibirischen Fluss benannt. In der Umgebung dieses Flusses gibt es reiche Rohstoffvorkommen, vor allem von Gold. Die Region Kolyma ist aber gleichzeitig eine der kÀltesten bewohnten Gegenden unseres Planeten. Im Winter sinken die Temperaturen hier hÀufig unter -50 Grad.

This was the road constructed to get to the gulag camps of the Russian Far East.
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Urheber: Missy Leone

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kolyma_Highway_(Road_of_Bones).jpg

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Um an die BodenschĂ€tze der Region heranzukommen, setzte die sowjetische Regierung LagerhĂ€ftlinge ein. Diese mussten zunĂ€chst Straßen bauen, um an die Rohstoffvorkommen heranzukommen. Der so entstandene Kolyma-Highway wird auch 'Straße der Knochen' genannt, da er durch einen riesigen Friedhof von beim Bau verstorbenen und neben der Straße verscharrten HĂ€ftlingen fĂŒhrt.

A Lithuanian deportee house in the Kolyma region
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Urheber: Europeana

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lithuanian_deportee_house_in_Kolyma.jpeg

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Vor Ort lebten die HĂ€ftlinge dann jahrelang in solchen HĂŒtten. Einen Großteil ihres Tages, oft ĂŒber 12 Stunden, verbrachten sie aber bei der Zwangsarbeit in den Minen.

Gallery 22 (ĐšŃ‚ĐŸĐ»ŃŒĐœŃ №22), level 980 m
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Urheber: ĐĐœĐŽŃ€Đ”Đč ĐšŃƒĐżĐŸĐ»ĐŸĐČ

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gallery_22_(%D0%A8%D1%82%D0%BE%D0%BB%D1%8C%D0%BD%D1%8F_%E2%84%9622),_level_980_m_-_panoramio.jpg

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Noch heute wird in der Kolyma-Region Gold gefördert. Das Foto zeigt einen Eingang zur Dukat-Mine.

Maske der Trauer bei Magadan
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Urheber: Johannes Rohr

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Maske_der_Trauer.jpg

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In der Hafenstadt Magadan an der PazifikkĂŒste erinnert dieses Monument 'Maske der Trauer' an die Millionen HĂ€ftlinge, die in Kolyma arbeiteten und oft genug starben.

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Darstellung

Die Toten sprechen nicht

Memorial for Gulag victims in Norilsk
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Urheber: Ninaras

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Monument_to_victims_of_Gulag_in_Norilsk_03.jpg

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Gedenktafel fĂŒr die Opfer des sowjetischen Straflagers im sibirischen Norilsk

Eine Schwierigkeit in der Beurteilung von Diktaturen im Nachhinein ist folgende: Die Toten sprechen nicht. Diktaturen bringen oft genau die Menschen um, die nicht einverstanden sind, die kritisieren, die sich ein anderes System wĂŒnschen. Das bedeutet, dass die Menschen ĂŒbrig bleiben, die sich irgendwie mit der Diktatur arrangieren. DafĂŒr gibt es viele GrĂŒnde: Angst um das eigene Leben, politische Überzeugung oder die Vorteile, die eine Diktatur den 'anstĂ€ndigen BĂŒrgern' oft genug bietet. 

Die Verhungerten, die Hingerichteten, die in Sibirien Erfrorenen erzĂ€hlen keine Geschichten. Aber wahrscheinlich wĂ€ren ihre Geschichten andere als die der Überlebenden.  

Lukas Epperlein

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Aufgabe – 'Loblied auf Stalin'

  1. Lies das Interview in Element 13 vollstĂ€ndig durch. Fasse dann Argumente und Gegenargumente in eigenen Worten zusammen. VervollstĂ€ndige dafĂŒr diese beiden SĂ€tze:
    1. Grudinin: „Stalin ist der beste StaatsfĂŒhrer Russlands, weil ...“
    2. Dud: „Stalin ist nicht der beste StaatsfĂŒhrer Russlands, weil ...“
  2. Nimm Stellung zur Argumentation Grudinins. Beziehe dich dabei auch auf den Inhalt der vorangegangenen Modul, z. B. Element 27 im ersten Modul, Element 11 im zweiten Modul und Element 16 im dritten Modul.

4.5 Hebt das eine denn das andere auf?

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Foto von Sora Shimazaki von Pexels
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Urheber: Sora Shimazaki

https://www.pexels.com/de-de/foto/urteilsskala-und-hammer-im-richteramt-5669602/

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„Hebt das [eine] denn das andere auf?“ Diese Frage stellt Juri Dud am Ende des Interviews in Element 13. Diese Frage ist zentral fĂŒr die Beurteilung einer Diktatur. „Das eine“ sind hier die Erfolge, die die Diktatur fĂŒr sich verbuchen kann, und „das andere“ ist der Preis, der dafĂŒr gezahlt wurde. Um Stalin als einen erfolgreichen Politiker bezeichnen zu können, wie es Grudinin im Interview tut, muss man diese Frage mit „Ja“ beantworten: „Ja, industrieller Fortschritt und ein verbessertes Bildungs- und Gesundheitssystem wiegen den Tod von Millionen Menschen, das Zerstören unzĂ€hliger Existenzen auf“. 

Die Frage ist kompliziert und es ist möglich, auf sie aus unterschiedlichen GrĂŒnden unterschiedliche Antworten zu geben. Aber die Antwort auf diese Frage ist wichtig. Denn die Geschichte zeigt uns, dass sie enorme Folgen haben kann. 

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A B C

Aufgabe

„Hebt das [eine] denn das andere auf?“

Können harte oder sogar verbrecherische staatliche Maßnahmen durch das durch sie erzielte Gute ausgeglichen werden? Versuche MaßstĂ€be zu finden, nach denen sich diese Frage fĂŒr dich beantworten lĂ€sst und formuliere dazu einen kurzen Text. Wichtig fĂŒr diese und die folgenden Aufgaben ist: Es gibt keine richtigen und falschen Antworten.

Aufgabe

Unten stehen vier Aussagen. Gib jeder Aussage einen Wert von 1 bis 5, wobei 1 bedeutet „ich stimme ĂŒberhaupt nicht zu“ und 5 „ich stimme total zu“.

  1. „Ein Staat darf fĂŒr eine gute Sache Opfer von seiner Bevölkerung verlangen.“
  2. „Ein Staat darf sich gegen Gegner, die unfair kĂ€mpfen, auch mit unfairen Mitteln wehren.“
  3. „Wenn ein Staat bedroht ist, gelten fĂŒr ihn andere Regeln als in normalen Zeiten.“
  4. „Grund- und Menschenrechte darf ein Staat unter keinen UmstĂ€nden einschrĂ€nken.“

Aufgabe

WĂ€hle eine Aussage aus der letzten Aufgabe, der du einen hohen Wert gegeben hast und erfĂŒlle die Aufgabe dahinter. Du darfst Beispiele aus Weimar und dem Stalinismus oder Beispiele aus der Gegenwart wĂ€hlen.

  1. „Ein Staat darf fĂŒr eine gute Sache Opfer von seiner Bevölkerung verlangen.“:
    Finde ein Beispiel fĂŒr eine gute Sache, die Opfer wert ist, ein Opfer, das gerechtfertigt wĂ€re sowie ein Opfer, das zu viel und nicht gerechtfertigt wĂ€re.
  2. „Ein Staat darf sich gegen Gegner, die unfair kĂ€mpfen, auch mit unfairen Mitteln wehren.“:
    Finde ein Beispiel fĂŒr einen solchen Gegner und ein Beispiel fĂŒr unfaire staatliche Verteidigung.
  3. „Wenn ein Staat bedroht ist, gelten fĂŒr ihn andere Regeln als in normalen Zeiten.“:
    Finde ein Beispiel fĂŒr eine Bedrohung und ein Beispiel fĂŒr eine Regel, die in einer Bedrohungssituation gestrichen oder abgeĂ€ndert werden könnte.
  4. „Grund- und Menschenrechte darf ein Staat unter keinen UmstĂ€nden einschrĂ€nken“:
    Finde ein Beispiel fĂŒr ein solches Menschenrecht und eine Situation, in der es fĂŒr den Staat nĂŒtzlich sein könnte, dieses Recht einzuschrĂ€nken, er es aber dennoch nicht tun sollte.
A B C
20

Aufgabe – Aktuelle Probleme

Erörtere auf Basis deiner VorĂŒberlegungen aus den Aufgaben oben ein aktuelles politisches Problem. Schau dir dafĂŒr den Darstellungskasten (Element 22) unten an und wĂ€hle entweder eines der dort aufgefĂŒhrten Probleme aus oder wĂ€hle (in Absprache mit deiner Lehrerin/deinem Lehrer) ein Ă€hnlich schwieriges Problem. Wichtig dabei ist, dass es bei dem von dir gewĂ€hlten Problem mehrere Lösungsmöglichkeiten geben muss, fĂŒr die es jeweils gute Argumente gibt.

21

Darstellung

Schwere Entscheidungen, zwei aktuelle Beispiele (Mai 2022)

Im Mai 2022 sieht sich die deutsche Bundesregierung zwei schwierigen Entscheidungen gegenĂŒber. Am 24.2. hat Russland die Ukraine ĂŒberfallen und fĂŒhrt seitdem in der Ukraine Krieg. Viele Tausend Menschen sind bereits gestorben und es sieht momentan (August 2022) so aus, als wĂŒrde dieser Krieg noch Monate, wenn nicht Jahre andauern.

Problem 1: Deutschland kauft seit langer Zeit sehr viel Erdgas aus Russland. Mit diesem Gas werden deutsche Wohnungen beheizt und in der deutschen Industrie Fabriken betrieben. Ohne dieses Gas mĂŒssten viele Fabriken stillstehen, Menschen wĂŒrden entlassen werden, Firmen wĂŒrden pleitegehen und vielleicht könnte im Winter nicht mehr ĂŒberall geheizt werden. Erdgas aus anderen LĂ€ndern ist teurer und schwer zu bekommen. 

Wiegt der Erfolg, weiterhin allen deutschen Wohnungen und Fabriken relativ gĂŒnstiges Erdgas zur VerfĂŒgung stellen zu können, den Preis auf, jeden Tag viel Geld an Russland zu bezahlen, mit dem dieses seinen brutalen Angriffskrieg weiterfinanzieren kann?

Problem 2: Die deutsche Regierung hat sich zu Beginn des Krieges entschieden, die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstĂŒtzen. Je lĂ€nger der Krieg dauert, desto mehr Forderungen gibt es, der Ukraine immer mehr und immer gefĂ€hrlichere Waffen zu schicken. Man weiß aber nicht, wie der russische PrĂ€sident Wladimir Putin auf diese Lieferungen reagieren wird. Wird er Deutschland ebenfalls zum Kriegsgegner erklĂ€ren, wird er Deutschland oder die EU angreifen? Wird der Krieg durch die vielen Waffen nicht noch brutaler und lĂ€nger andauern?

Wiegt der Erfolg, die angegriffene Ukraine zu unterstĂŒtzen, den Preis eines erhöhten Risikos, dass der Krieg lĂ€nger und weitreichender wird, auf?