Die mittelalterliche Stadt war eine Sensation! Handel und Handwerk boten den einfachen Menschen die Chance, etwas aus sich zu machen. Allerdings nicht ohne Gefahren: Eine Flucht in die Stadt war alles andere als ein Sonntagsspaziergang. In diesem Kapitel sehen wir uns das Leben in der mittelalterlichen Stadt genauer an.
3.1 Stadtluft macht frei
StĂ€dte boten der unfreien mittelalterlichen Landbevölkerung eine Freiheit, die sie bis dahin nicht kannten. Mit der Flucht in eine Stadt begann fĂŒr einen leibeigenen Bauern mit etwas GlĂŒck buchstĂ€blich ein neues Leben. Denn wenn er ein Jahr und einen Tag in der Stadt gelebt hatte, hatte sein alter Herr keine Rechte mehr ĂŒber ihn. Und er konnte sogar darauf hoffen, irgendwann angesehener BĂŒrger dieser Stadt zu werden. Deswegen galt im Mittelalter der Spruch âStadtluft macht frei nach Jahr und Tagâ.
Gleichzeitig war eine Flucht in die Stadt nicht ungefĂ€hrlich: Bei Nacht und Nebel machten sich die Bauern auf. Sie hatten Angst, von den Soldaten ihres adligen Herren erwischt zu werden. Selbst wenn sie die Stadt unversehrt erreichten, mussten sie fĂŒrchten, bei einer Anfrage ihres Herren ausgeliefert zu werden. So war das Recht.
Zudem standen die Neuankömmlinge auf der sozialen Leiter der Stadt ganz weit unten. Sie hatten zunÀchst in der Regel keine Bleibe, keine Rechte und ihre schwierige Situation konnte von der bestehenden Stadtbevölkerung ausgenutzt werden. Einigen Zuwanderern gelang es deshalb nie, in der Stadt Fuà zu fassen. Sie endeten nicht selten als Diebe oder Bettler.
Aufgabe â Brief an einen Freund
- Stell dir vor, du wÀrst mit deiner Familie vom Land in die Stadt geflohen. Schreibe einen Brief an einen Freund oder eine Freundin, der oder die noch auf dem Land wohnt. Beschreibe eure Flucht und die Sorgen und Hoffnungen, die euch nun in der Stadt beschÀftigen.
- Die vorherige Aufgabe ist aus mindestens zwei GrĂŒnden etwas unrealistisch oder âhistorisch nicht ganz sauberâ. Ăberlege, welche GrĂŒnde das sein könnten.
3.2 Herzschlag der Stadt: Handel und Handwerk
Die Grundlage fĂŒr den Wohlstand in den mittelalterlichen StĂ€dten war eine Art GeschĂ€ft: Die adeligen Landesherren schĂŒtzten die HĂ€ndler und Handwerker vor ĂberfĂ€llen und erhielten dafĂŒr Steuern und Zolleinnahmen. Dabei verdienten im Idealfall alle Seiten so gut, dass die Nachfrage nach (immer feineren) Handwerksarbeiten und LuxusgĂŒtern stetig gröĂer wurde. Dadurch wurden auch die Stadt und ihre Bevölkerung immer wohlhabender.
Gleichzeitig verĂ€nderte sich in den StĂ€dten ein altes Wirtschaftsprinzip: Als Bauern hatten die Menschen alles selbst hergestellt, was sie zum Leben benötigen. (Das nennt man Subsistenzwirtschaft.) In der Stadt spezialisieren sie sich mehr und mehr: Der Schmied machte nur Eisenarbeiten, der Zimmermann arbeitete mit Holz. Spezialisierung fĂŒhrte zu besseren Produkten und feineren Arbeiten. So konnten mit der Zeit immer gröĂere Bauten und immer speziellere LuxusgĂŒter in den StĂ€dten entstehen.
Aufgabe
- Siehe dir die Galerie âDer Reichtum der StĂ€dteâ (Element 5) an und lies den Kapiteltext aufmerksam durch.
- Fertige ein Schaubild an, in dem du
- die Notwendigkeit von Handel,
- die Transportwege fĂŒr Waren und GĂŒter,
- die Bedeutung von Handel mit GĂŒtern fĂŒr die Menschen darstellst. - Vergleiche dein Schaubild mit dem anderer SchĂŒlerinnen und SchĂŒler.
ZĂŒnfte und Gilden regeln Handwerk und Handel
ZĂŒnfte waren ZusammenschlĂŒsse von Handwerkern, z. B. der Tischler, der Schmiede oder der BĂ€cker. Sie regelten im Mittelalter einerseits alle wichtigen Bereiche des tĂ€glichen Lebens und Arbeitens der Handwerker. Wer durfte ĂŒberhaupt BĂ€cker werden? Wie hatten die Brote in dieser Stadt auszusehen? Welche Zutaten durften verwendet werden? ZĂŒnfte gaben den Handwerkern Regeln. Die Interessen des eigenen Handwerks lieĂen sich in der Stadt durch eine gröĂere Gruppe organisierter Mitglieder auch besser durchsetzen. AuĂerdem ging es auch um SolidaritĂ€t: Mitglieder einer Zunft standen fĂŒreinander ein und halfen sich gegenseitig im Notfall. So kĂŒmmerten sie sich beispielsweise um kranke Handwerker, die nicht arbeiten konnten oder sorgten fĂŒr die Waisenkinder und Witwen ihrer verstorbenen Mitglieder.
Ăhnliche ZusammenschlĂŒsse gab es auch bei den HĂ€ndlern und Kaufleuten. Dort nannte man die ZusammenschlĂŒsse jedoch Gilden.
Aufgabe
- Nenne drei wichtige Funktionen der ZĂŒnfte und Gilden in der mittelalterlichen Stadt.
- Ordne die Zunftwappen im interaktiven Element (Element 9)Â unten ihrem jeweiligen Beruf zu.
Hinweis:
Manche der Wappen kannst du dir selber erschlieĂen, bei manchen musst du wahrscheinlich vorher recherchieren.Â
Interaktive Aufgabe: Zuordnung von Zunftwappen
3.3 Bewohner der mittelalterlichen Stadt
Die mittelalterlichen StĂ€dte boten auf der einen Seite neue Möglichkeiten fĂŒr die Landbevölkerung. Das alte Feudalsystem mit den Herren oben und den Bauern unten spielte dort keine Rolle mehr. An dessen Stelle trat jedoch eine anderes System, die Stadtordnung. Auch die Stadtordnungen bestimmten Menschen, die oben und unten lebten, jedoch gab es durchaus Möglichkeiten zum Auf- oder Abstieg.
Stadtordnungen in der mittelalterlichen Stadt
Vermögensverteilung der Stadt Bern im Mittelalter
Anteil am Gesamtvermögen der Stadt
Zusammensetzung der Einwohner
Aufgabe â Noch ein Brief an einen Freund
Schreibe einen zweiten Brief an den Freund oder die Freundin, dem oder der du bereits von eurer Flucht berichtet hast (Element 4).Â
- ErklÀre ihm oder ihr, wer in der Stadt das Sagen hat und wer nicht.
- Handel, Handwerk oder Kirche â ErklĂ€re deinem Freund oder deiner Freundin, wie du in der Stadt aufsteigen willst und begrĂŒnde deine Wahl. Die folgenden Materialien helfen dir bei deiner Auswahl und Argumentation.
Information
Der BĂŒrger
Information
Der BĂŒrger
Im Mittelalter meint das Wort BĂŒrger eine privilegierte Gruppe von Menschen innerhalb einer Stadt. Als BĂŒrger konnte man zu Macht und Ansehen kommen. Man durfte den Rat, also die Regierung der Stadt, mitwĂ€hlen und man konnte sogar selber Stadtrat oder BĂŒrgermeister werden.Â
Man hatte aber auch Pflichten: Die BĂŒrger mussten im Falle eines Krieges die Stadt verteidigen und sie mussten Steuern bezahlen. In den meisten mittelalterlichen StĂ€dten gab es weitaus weniger BĂŒrger als sonstige Einwohner.
Darstellung
Nikolaus von Kues (1401â1464) â der Sohn eines Fischers wird Kardinal
Darstellung
Nikolaus von Kues (1401â1464) â der Sohn eines Fischers wird Kardinal
Nikolaus wurde 1401 in Kues an der Mosel geboren. Sein Vater stammte aus einer Familie von Fischern, war aber als Kaufmann zu Reichtum gekommen. Er konnte es sich leisten, seinen Sohn Nikolaus studieren zu lassen. Nikolaus studierte in Heidelberg und spĂ€ter in Padua Philosophie und Kirchenrecht. WĂ€hrend seines Studiums freundete er sich mit mehreren Lehrern und Mitstudenten an, die spĂ€ter KardinĂ€le wurden. 1423 kehrte Nikolaus als Doktor nach Kues zurĂŒck und trat als SekretĂ€r in die Dienste des Erzbischofs von Trier. Dieser versorgte Nikolaus mit mehreren kirchlichen Ămtern (PfrĂŒnden), durch die Nikolaus viel Geld erwirtschaften konnte. Im Dienst des Erzbischofs nahm er am Konzil von Basel teil und konnte dort Bekanntschaft mit einflussreichen Bischöfen und KardinĂ€len schlieĂen. Der Papst wurde auf Nikolaus aufmerksam und schickte ihn unter anderem als Diplomaten nach Konstantinopel. SchlieĂlich ernannte der Papst Nikolaus fĂŒr seine Dienste zum Bischof und Kardinal. Durch Klugheit, Bildung und diplomatisches Geschick war der Sohn eines Fischers ins höchste Kirchenamt unter dem Papst aufgestiegen.
Quelle
Ein Kölner Gesetz von 1397 legt fest, wie man Garnmacherin wird
Quelle
Ein Kölner Gesetz von 1397 legt fest, wie man Garnmacherin wird
Zum Ersten, welche Person oder welches MÀdchen das Garnmacherhandwerk in Köln erlernen will, die soll vier Jahre dienen und nicht weniger, damit sie umso besser Ware in hoher QualitÀt herzustellen und zu bereiten lerne. Und sie soll in diesen vier Jahren zwei Frauen dienen und keiner mehr. [...]
Ferner, wenn jemand, der vier Jahre gedient hat, sich daraufhin zu Hause oder in einem Laden niederlassen wollte, um eigenes Werk zu wirken, so sollen die Frauen, die hierfĂŒr vereidigt sind, das fertige Werk ĂŒberprĂŒfen, ob es gute Ware sei oder nicht. Ist es solche Ware, dass man sie dem Kaufmann anvertrauen kann, so soll sie ihr Handwerk ausĂŒben dĂŒrfen und sogleich 2 Gulden bezahlen, bevor sie den Handwerksberuf aufnimmt und sich damit niederlĂ€sst. Wer in diesem Handwerk geboren ist, die soll halb so viel geben.
Exkurs: Bargeld und BĂŒrgereid
Wie wurde man eigentlich BĂŒrger einer Stadt im Mittelalter?
Exkurs: Bargeld und BĂŒrgereid
Wie wurde man eigentlich BĂŒrger einer Stadt im Mittelalter?
Bargeld und BĂŒrgereid
Der einfachste Weg, BĂŒrger einer Stadt zu werden, war per Geburt: Als Kind von BĂŒrgern einer Stadt wurde man selbst auch BĂŒrger.Â
Alle anderen mussten bestimmte Voraussetzungen erfĂŒllen und sich das BĂŒrgerrecht erkaufen. ZunĂ€chst musste man also zu Geld kommen, manchmal sogar ein GrundstĂŒck in der Stadt erwerben und eine gewisse Zeit in der Stadt gelebt haben.Â
Mit GlĂŒck konnte aber ein zugezogener Bauer als Knecht ein Handwerk erlernen und sich von ganz unten in die BĂŒrgerschaft hocharbeiten.
Wenn die oben genannten Bedingungen zur BĂŒrgerschaft erfĂŒllt waren, war der Rest nur noch ein Verwaltungsakt. Gegen eine GebĂŒhr meldete sich ein Kandidat zur Aufnahme in die BĂŒrgerschaft an. In regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden wurden in den StĂ€dten öffentliche Veranstaltungen durchgefĂŒhrt, bei der alle NeubĂŒrger einen Eid auf den Stadtherren und die Regeln ihrer Stadt leisteten. Ein Beispiel dafĂŒr ist der Bautzener BĂŒrgereid weiter unten.
Alleinstehenden Frauen war es nicht gestattet, das BĂŒrgerrecht zu erwerben. Per Geburt hatten sie durch ihre Herkunftsfamilie oder spĂ€ter durch eine Heirat mit einem BĂŒrger quasi denselben Stand, selbstÂ ĂŒber den Tod ihres Mannes hinaus. So kam es durchaus vor, dass die Witwe eines Handwerkers dessen Betrieb ĂŒbernahm.
Der Bautzener sorbische BĂŒrgereid
Sorbisch | Deutsch |
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Ja pĆżchiĆżaham Bohu a naĆżchemĆ Neygnad- neyĆżchemĆ Knyezu Knyezu Ferd...ulff Kraly CzeĆżkem, a geho gnadie diediczuom A wĆżchiczknym potomnym Kraluom CzeĆżkym BurgermaiĆżtrĆ a Radyie thoho MieĆżta Budiƿƿina WiernĂż poĆżluznĂż a podanĂż beyczĆżch wedne a wnotzĂż, kdyĆżch Ja wodnich napomenan budaw, a pĆżchy raddie ĆżtayĆżch wĆżchicznich weczich kotare wony zalepĆżchĂż poznayĆ, gych lepĆżche peytaczĆżch. A gych horĆżche wobwarnowayĆżch t[ack jacko my] Buch pomĆoz a geho Swate S[lowo]. | Ich schwöre, Gott und unserem allergnĂ€digsten Herrn, Herrn Ferd...ulff dem Böhmischen König und seiner Gnaden Erben und allen kĂŒnftigen böhmischen Königen, dem BĂŒrgermeister und dem Rate der Stadt Budissin treu, gehorsam und ergeben zu sein bei Tag und bei Nacht, wenn ich von ihnen aufgefordert werde, und bei dem Rate zu stehen in allen Dingen, welche sie fĂŒrs beste befinden, ihr Bestes zu suchen. Und sie vor Ăbel zu bewahren, s[o wie mir] Gott helfe und sein Heiliges W[ort]. |
Kito Lorenc, Sorbisches Lesebuch. Serbska Äitanka. Leipzig 1981, S. 18 |
3.4 Zusammenfassung
Aufgabe
Setze dich in drei Schritten mit folgender Behauptung auseinander: Mittelalterliche Stadtluft machte frei. Das Video unten fasst viele wichtige Aspekte dazu zusammen und ist ein guter Startpunkt.
1. Nenne alle Argumente aus diesem Kapitel, die die These bekrÀftigen.
2. Nenne ebenfalls alle Gegenargumente, die du in diesem Kapitel findest.
3. Beurteile die Behauptung, dass mittelalterliche Stadtluft frei machte.