PodiumsgesprÀch
Michelangelo:
Unsere Kunst basiert zum einen auf Wissen und Erfahrung, diese beiden Ebenen verknĂŒpfen wir und stellen sie in unseren Werken dar. Wir KĂŒnstler streben nach einem Ideal der Schönheit, welches wir durch das Studium der Natur versuchen zu erreichen. Daraus versuchen wir, ein harmonisches System von idealen Proportionen abzuleiten. Dazu spĂ€ter mehr.
Leonardo:
Jetzt muss ich doch einmal einschreiten. Dieser JĂŒngling, der â mit Verlaub â noch etwas GrĂŒn hinter den Ohren ist mit seinen 29 Jahren, gibt schon etwas an. Ich war ja nicht dafĂŒr, aber in Zukunft steht der Koloss mit seinem zu groĂ geratenem Kopf und seinen ĂŒbergroĂen HĂ€nden auch noch vor dem Rathaus in Florenz. Ist Ihnen das bei Ihrem Studium der Proportion des David aufgefallen? Unter uns, da hĂ€tte er mal lieber statt der alten Meister die Anatomie studiert. Und diese Bildhauerei, das ist ja eher ein Handwerk und ein ziemlich staubiges noch dazu. Die wahre Kunst ist die Malerei, die Kunst auf einer FlĂ€che eine perfekte Illusion zu erzeugen.
Michelangelo:
Also ich habe mir das jetzt alles angehört, aber dazu muss ich jetzt schon noch einmal etwas sagen. Werter Leonardo, aus Ihnen sprechen die Arroganz und Eifersucht eines in die Jahre geratenen KĂŒnstlers, der sich nicht fĂŒr eine Sache entscheiden kann. Die Skulptur des David ist in jedem Detail bewusst so dargestellt worden, wie er ist. Die GröĂe und die Betrachtung schrĂ€g von unten machen es notwendig, die Figur mit gröĂeren ExtremitĂ€ten auszustatten, damit das Gesamtbild stimmt. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie von einem handwerklichen Metier sprechen, aber ich sage Ihnen, nicht jeder Steinmetz kann aus einem Marmorblock ein Meisterwerk schlagen, denn: âNur die Hand, die ganz dem Geist gehorcht, erreicht das Bild im Steine.â2
Holo4ART:
Entschuldigen Sie bitte. Ich denke, Sie sind beide herausragende KĂŒnstler und Universalgenies. Vielleicht können wir die AnimositĂ€ten beiseitelassen und im Programm fortfahren.
Verehrter Herr da Vinci, erzÀhlen Sie uns doch, ob es Ihnen gelungen ist, Ihr Verlangen nach Perfektion in der Malerei zu stillen.
Leonardo:
NatĂŒrlich, natĂŒrlich, das hat hier keinen Platz. Zudem stimme ich dem werten Herrn Buonarroti zu. Die Werke des Altertums mĂŒssen studiert werden, daran fĂŒhrt kein Weg vorbei. Aber unser Wissen erhalten wir obendrein durch die Beobachtung des Menschen und das Studium der Anatomie. GrundsĂ€tzlich ist fĂŒr mich die Kunst ein Teil der Wissenschaft, einerseits um Wahrnehmungen festzuhalten, andererseits um etwas darzustellen. Doch bevor wir mit dem Zeichnen loslegen können, sollte man lernen, wie das Auge funktioniert, wie wir beispielsweise PlastizitĂ€t wahrnehmen oder wie man etwas perspektivisch darstellen kann. Dann ist das Sehen nĂ€mlich dem Erkennen gleichzusetzen und das, verehrte KĂŒnstlergemeinde, ist die Voraussetzung. Aber ich möchte Sie nicht langweilen mit meinen wissenschaftlichen Erkenntnissen wie Chiaroscuro, sfumato oder der Zentralperspektive, folgen Sie mir in mein Bild ...