3. Was ist eigentlich die Antwort auf die soziale Frage?

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sogenannte Wanderarbeiter aus asiatischen LĂ€ndern in Doha
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Urheber: Alex Sergeev

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Migrant_workers_in_West_Bay_Doha.jpg

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Asiatische "Wanderarbeiter" auf einer Baustelle im Emirat Katar: Andere Zeit, gleiches Problem?

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In diesem Kapitel geht es um die Frage, welche Antworten fĂŒr die soziale Frage im 19. Jahrhundert gefunden wurden. Wer hat Antworten entwickelt und wie funktionierten sie?
Warum ich das als Autor dieses Kapitels spannend finde?
 Auch heute gibt es sehr viele arme und wenige sehr reiche Menschen. Auch heute Ă€ndert sich gerade wieder viel in unserer Gesellschaft, zum Beispiel durch die digitale Revolution: Neue Wirtschaftszweige entstehen und Ă€ltere sterben ab. Das ist Ă€hnlich der Entwicklung im 19. Jahrhundert. Hilft uns ein Blick in die Vergangenheit, um Anregungen fĂŒr die Lösung der sozialen Frage von heute zu gewinnen?

3.1 AufstĂ€nde? Gewalt? BĂŒrgerkrieg?

Die Arbeiterbewegung entsteht

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Urheber: Rechte: Historisches Bildarchiv, Bad Berneck

https://www.fes.de/archiv-der-sozialen-demokratie

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Galerie: Organisierte Arbeiter kĂ€mpfen fĂŒr ein besseres Leben

Streikende Arbeiter versammeln und organisieren sich. GemĂ€lde „Streik“ von MihĂĄly von MunkĂĄcsy, 1895 (im Original farbig)

Straßenkampf zwischen Polizei und Streikenden
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Urheber: Gemeinfrei / AdsD

https://www.fes.de/archiv-der-sozialen-demokratie

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Galerie: Organisierte Arbeiter kĂ€mpfen fĂŒr ein besseres Leben

Zeichnung, die einen Straßenkampf zwischen Polizei und streikenden Kohlearbeitern und Kutschern zeigt

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http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburger_Hafenarbeiterstreik_1896_97_Handzettel.jpg

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Galerie: Organisierte Arbeiter kĂ€mpfen fĂŒr ein besseres Leben

Ein Handzettel fĂŒr die Streikenden wĂ€hrend des Hamburger Hafenarbeiterstreiks 1896/97

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http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Postkarte_8_Stundentag.jpg&filetimestamp=20120930125155

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Galerie: Organisierte Arbeiter kĂ€mpfen fĂŒr ein besseres Leben

Postkarte zum Kampf um den Achtstundentag, ca. 1901-1910

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Urheber: Gemeinfrei / AdsD

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Galerie: Organisierte Arbeiter kĂ€mpfen fĂŒr ein besseres Leben

Plakat zum 1. Mai 1904: Traum von einer besseren Zukunft?

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Urheber: Walter Crane, Nachdruck vom WI-Verlag GmbH, DĂŒsseldorf

https://www.fes.de/archiv-der-sozialen-demokratie/

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Galerie: Organisierte Arbeiter kĂ€mpfen fĂŒr ein besseres Leben

Plakat der Arbeiterbewegung

„Wir Arbeiter mĂŒssen uns selbst helfen.“1 – Das war eine wichtige Erkenntnis jener Arbeiter, die im 19. Jahrhundert langsam begannen, sich zu organisierten, um ihre elende Lage zu verbessern. Diese Aussage wurde wĂ€hrend des ersten 'Allgemeinen Arbeiterkongresses' 1848 in Berlin formuliert und war keineswegs selbstverstĂ€ndlich. Sich gegen die Fabrikbesitzer zur Wehr zu setzen, indem man streikte oder demonstrierte, konnte fĂŒr die Arbeiter gefĂ€hrlich sein. Wenn sie von den Fabrikbesitzern entlassen wurden, dann waren sie von heute auf morgen ohne Einkommen und Nahrung. Die Arbeiter mussten also Organisationen aufbauen, um die Fabrikbesitzer unter Druck setzen und sich selbst besser unterstĂŒtzen zu können.

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Darstellung

Gewerkschaften und ArbeitskÀmpfe in Sachsen

Die Arbeiter organisierten sich. In Sachsen grĂŒndeten sich besonders viele solche Arbeitervereine. In Crimmitschau wurde 1869 die erste Textilarbeitergewerkschaft Sachsens gegrĂŒndet. Auch im Maschinenbau und anderen Branchen entstanden nach 1862 gewerkschaftliche Organisationen. Im ganzen Deutschen Reich hatten Gewerkschaften im Jahr 1899 bereits 500.000 Mitglieder. Die Arbeiter konnten ihren Forderungen nunmehr besser Gewicht verschaffen. Wenn viele oder sogar alle Arbeiter eines Betriebes fĂŒr höhere Löhne oder niedrigere Arbeitszeiten streikten, konnten sie vom Fabrikbesitzer nicht mehr einfach entlassen oder anderweitig bestraft werden. Schon 1871 hatten in Chemnitz etwa 6.500 BeschĂ€ftigte einen großen Arbeitskampf gefĂŒhrt. Und der im Sommer 1903 begonnene Streik der Crimmitschauer Textilarbeiter dauerte sogar fĂŒnf Monate. Die 8.000 Streikenden kĂ€mpften fĂŒr ArbeitszeitverkĂŒrzungen. Sie waren zwar nicht erfolgreich, erregten jedoch ein großes Aufsehen – alle sahen nun, dass streikende Arbeiter eine Macht waren.

Marcus Ventzke, Institut fĂŒr digitales Lernen

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Mitgliederentwicklung der deutschen Gewerkschaften vom Ende des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
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Quelle

August Bebel, einer der Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei, ĂŒber die Aufgabe der Gewerkschaften (1900)

Der einzelne Arbeiter ist dem Unternehmer gegenĂŒber machtlos. Jeder Versuch, auf eigene Faust seine Lage zu verbessern, endet in der Regel mit einer Niederlage [...]. Die einzige Möglichkeit, seine Arbeit und damit seine Lebensbedingungen auf einige Dauer zu verbessern, ist die Vereinigung mit seinesgleichen. Deshalb ist der Beitritt zu einer Gewerkschaft eine Lebensnotwendigkeit fĂŒr jeden Arbeiter. Die Gewerkschaft erstrebt: Erhöhung des Lohnes [...], VerkĂŒrzung der Arbeitszeit, HerbeifĂŒhrung menschenwĂŒrdiger ZustĂ€nde im Betrieb, Rechtsschutz, ArbeitslosenunterstĂŒtzung.

Helmut Hirsch, August Bebel: Sein Leben in Dokumenten, Reden und Schriften, Köln 1968, S. 352.

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Quelle

Karl Marx ĂŒber Gewerkschaften

Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstandes gegen die Gewalttaten des Kapitals [...]. Sie verfehlen ihren Zweck gĂ€nzlich, sobald sie sich darauf beschrĂ€nken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu fĂŒhren, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu Ă€ndern [...].

Karl Marx, Lohn, Preis und Profit, in: Marx-Engels-Werkausgabe (MEW), Bd. 16, Berlin 1968, S. 152.

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Aufgabe

  1. Beispiel aus der Gegenwart: Eine Gewerkschaft ruft zum Streik auf. Nach langem Arbeitskampf erstreitet sie 100 € Lohnerhöhung fĂŒr ihre Mitglieder. Der Arbeitgeber hat wĂ€hrend des Streiks alle BeschĂ€ftigten, die Mitglied in der betreffenden Gewerkschaft sind, entlassen. Man sagt auch, sie wurden „lösend ausgesperrt“. Nach Ende des Streiks geht die Gewerkschaft vor Gericht, um Aussperrungen grundsĂ€tzlich fĂŒr rechtswidrig erklĂ€ren zu lassen.
    Überlege, ob diese Gewerkschaft im Sinne der Aussagen der Quelle (Element 6) ihren „Zweck verfehlt“ oder ihn erfĂŒllt hat.
  2. „Der einzelne Arbeiter ist dem Unternehmer gegenĂŒber machtlos. Jeder Versuch, auf eigene Faust seine Lage zu verbessern, endet in der Regel mit einer Niederlage.“
    ErklĂ€re diesen Satz aus der Quelle (Element 5) in eigenen Worten. Nutze dafĂŒr die Informationen aus diesem Modul.
  3. ErlĂ€utere, inwiefern die GrĂŒndung einer Gewerkschaft den Arbeitern hilft, ihre eigene Machtlosigkeit zu ĂŒberwinden.
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Aufgabe

Auch heute haben es die Gewerkschaften in Deutschland in manchen Branchen oftmals nicht leicht, die Interessen von BeschÀftigten angemessen zu vertreten.

  1. Suche nach GrĂŒnden dafĂŒr und beziehe die VerĂ€nderungen der heutigen Arbeitswelt im Vergleich zum 19. Jahrhundert ein.
    Hinweis:
    Du kannst bei der Bearbeitung dieser Aufgabe deine Eltern oder andere Leute fragen.
    Folgende Stichworte spielen eine Rolle:
    - Festanstellung
    - digitale Arbeitsweise
    - FlexibilitÀt
    - lebenslanges Lernen
  2. Nutze die gesammelten GrĂŒnde fĂŒr die Erstellung eines Plakats. 
    Hinweis:
    - Stelle auf dem Plakat die Branche und die GrĂŒnde fĂŒr die Schwierigkeiten dar.
    - Suche nach Abbildungen (zum Beispiel von modernen Arbeitsbereichen) und nutze sie fĂŒr das Plakat.
    - Finde eine Überschrift fĂŒr dein Plakat, das deine GrĂŒnde zusammenfasst.

3.2 Arbeiterparteien: Kampf fĂŒr eine bessere Gesellschaft

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§

Urheber: Frakturfreund

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SPD-Plakat_1919.jpg

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Wahlplakat der SPD von 1919

Ihre Forderungen wollten die Arbeiter aber nicht nur mit Streiks und einzelnen Verbesserungen in Fabriken, sondern auch in der Politik und im Parlament vertreten. Das war sinnvoll, denn viele Politiker aus GroßbĂŒrgertum und Adel standen der Arbeiterbewegung zunĂ€chst eher feindlich gegenĂŒber. Gewerkschaften und Demonstrationen wurden gesetzlich verboten, organisierte Arbeiter verhaftet und eingesperrt. Um das zu Ă€ndern, wurden die ersten Arbeiterparteien gegrĂŒndet. Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Arbeiterbewegung mit ihrer Partei, der SPD, den Gewerkschaften, Bildungsvereinen und weiteren Organisationen eine gut organisierte und mĂ€chtige gesellschaftliche Kraft. WofĂŒr sie diese Kraft aber genau einsetzen wollte, wurde immer wieder kontrovers diskutiert.

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§

Urheber: Digitale Lernwelten GmbH

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Entwicklung der Arbeiterparteien in Deutschland: Ferdinand Lassalle grĂŒndete 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). August Bebel und Wilhelm Liebknecht fĂŒhrten die 1869 in Eisenach gegrĂŒndete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Beide Bewegungen schlossen sich 1875 in Gotha zu einer einheitlichen Arbeiterpartei zusammen. Diese gab sich 1890 den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Bereits 1890 war die SPD bei den Reichstagswahlen stĂ€rkste Partei. 1912 erreichte sie nahezu 35 % der WĂ€hlerstimmen.

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Darstellung

WofĂŒr genau sollen die Arbeiterparteien und -vereine kĂ€mpfen?

Über ihre Ziele waren die Mitglieder der SPD, der Gewerkschaften und anderer Arbeitervereine nie einer Meinung. Die einen wollten, dass sich die Arbeiterorganisationen, allen voran die SPD, fĂŒr die konkrete Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen einsetzen sollte. Sie wollten auch gesetzliche Änderungen und damit die Teilnahme an Wahlen und eine Mitwirkung in Parlamenten. Die AnhĂ€nger von Karl Marx und Friedrich Engels waren hingegen der Meinung, dass solche Verbesserungen in einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft und in einem Staat, der von Adel und GroßbĂŒrgern bestimmt wird, nutzlos bleiben wĂŒrden. Deshalb wollten sie eine Arbeiterpartei, die fĂŒr eine Revolution kĂ€mpfen sollte, um einen von Grund auf gerechteren Staat zu schaffen.

Marcus Ventzke, Institut fĂŒr digitales Lernen

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Quelle

Die politische Aufgabe der Arbeiterparteien nach Ansicht des sozialistischen Politikers Ferdinand Lasalle

Aus dem Gesagten ergibt sich nun mit Bestimmtheit, welche Haltung der Arbeiterstand in politischer Hinsicht einnehmen [...] muß. Der Arbeiterstand muss sich als selbststĂ€ndige politische Arbeiterpartei konstituieren und das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu dem prinzipiellen Losungswort und Banner dieser Partei machen. Die Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körpern Deutschlands – dies ist es allein, was in politischer Hinsicht seine legitimen Interessen befriedigen kann. Eine friedliche und gesetzliche Agitation hierfĂŒr mit allen gesetzlichen Mitteln zu eröffnen, das ist und muss in politischer Hinsicht das Programm der Arbeiterpartei sein.

Ferdinand Lassalle, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, Berlin 1919/1920, S. 554.

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Quelle

Aus dem Erfurter Programm der SPD (1891)

Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln – Grund und Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel – in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, fĂŒr und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende ErtragsfĂ€higkeit der gesellschaftlichen Arbeit fĂŒr die bisher ausgebeuteten Klassen aus einer Quelle des Elends und der UnterdrĂŒckung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger harmonischer Vervollkommnung werde.

Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts, das unter den heutigen ZustĂ€nden leidet. Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein, weil alle anderen Klassen, trotz der Interessenstreitigkeiten unter sich, auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben.

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen KĂ€mpfe nicht fĂŒhren und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.

Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen – das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei.

Protokoll des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu
Erfurt vom 14. bis 20. Oktober 1891. Berlin 1891, S. 3f.

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Quelle

Aus dem Kommunistischen Manifest: Aufhebung des Privateigentums (1848)

Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums ĂŒberhaupt, sondern die Abschaffung des bĂŒrgerlichen Eigentums. [...]
In diesem Sinn können die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen.
Man hat uns Kommunisten vorgeworfen, wir wollten das persönlich erworbene, selbsterarbeitete Eigentum abschaffen; das Eigentum, welches die Grundlage aller persönlichen Freiheit, TÀtigkeit und SelbstÀndigkeit bilde. [...]
Schafft aber die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers ihm Eigentum? Keineswegs. Sie schafft das Kapital, d. h. das Eigentum, welches die Lohnarbeit ausbeutet, welches sich nur unter der Bedingung vermehren kann, dass es neue Lohnarbeit erzeugt, um sie von neuem auszubeuten.

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Merke

Was ist Sozialismus?

Über diese Frage sind und waren sich die Sozialisten oft selbst nicht einig. Deshalb ist es nicht leicht zu sagen, was Sozialismus eigentlich ist.

WorĂŒber sich Sozialisten einig waren:

  • Die bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist ungerecht.
  • Sie ist ungerecht, weil sie auf der Ausbeutung der Mehrheit der arbeitenden Menschen durch eine Minderheit beruht.
  • Diese Minderheit besteht aus den Besitzern der Produktionsmittel (Fabriken, Maschinen, aber auch Böden und GrundstĂŒcke), den Kapitalisten.
  • Die Mehrheit sind die, die den gesellschaftlichen Wohlstand erarbeiten (also v. a. Arbeiter, Bauern, Angestellte). Die arbeitenden Menschen bekommen aber von diesem Wohlstand viel zu wenig.
  • Das Ziel einer sozialistischen Politik ist eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der alle arbeitenden Menschen die Produktionsmittel gemeinsam besitzen. Damit kann die Ausbeutung beendet werden.

WorĂŒber Sozialisten stritten:

  • Ist es richtig, fĂŒr die Verwirklichung des Sozialismus Gewalt anzuwenden, oder sollte eine sozialistische Gesellschaft nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden?
  • Kann die bestehende Ordnung durch politische Maßnahmen und Reformen verbessert werden, oder muss sie in einer Revolution gestĂŒrzt werden?
  • Können die Ziele des Sozialismus in einer Demokratie verwirklicht werden, oder braucht es dafĂŒr eine Herrschaft der Arbeiter, die ihre Gegner (z. B. Kapitalisten) unterdrĂŒckt? Diese Herrschaft nannten Karl Marx und Friedrich Engels die 'Diktatur des Proletariats'.

Die Vertreter der gemĂ€ĂŸigten Position (keine Gewalt, Reformen, Demokratie) bestimmten die Entwicklung der Sozialdemokratie. Die radikale Gegenposition prĂ€gte den Kommunismus.

Lukas Epperlein, Digitale Lernwelten GmbH

16

Aufgabe

  1. Arbeite aus den Quellen (Elemente 13 und 14) die dort beschriebenen Probleme mit dem privaten Eigentum an Grund und Boden, Fabrikanlagen, Maschinen usw. heraus.
  2. Leite die Aufgabe des Staates ab, wenn das „Privateigentum an Produktionsmitteln“ in eine „sozialistische Produktion“ umgewandelt wird, damit die Wirtschaft eine „Quelle der höchsten Wohlfahrt“ sein könnte.
  3. Entscheide: Ging es den Sozialisten um die Abschaffung des privaten Eigentums insgesamt? Nutze dafĂŒr die Elemente 14 und 15. 
  4. SchÀtze ein, ob die Abschaffung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln tatsÀchlich zwingend nötig ist, um den erarbeiteten Wohlstand einer Gesellschaft gerecht zu verteilen.
  5. ErlĂ€utere die Haltung der frĂŒhen Sozialdemokraten zur Demokratie.

3.3 Reaktionen der christlichen Kirchen auf die soziale Frage

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RevolutionĂ€re UmstĂŒrze zur Verbessrung der Lage der Arbeiter lehnten die christlichen Kirchen grundsĂ€tzlich ab. Die sozialen MissstĂ€nde wollten sie mit 'tĂ€tiger NĂ€chstenliebe' und politischen Reformforderungen bekĂ€mpfen. Die soziale Frage war eine der wichtigsten politischen Fragen jener Zeit. Zu ihr musste die Kirche etwas sagen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, noch schneller gesellschaftlichen Einfluss zu verlieren. Ihre VorschlĂ€ge richteten sich auf UnterstĂŒtzung und Linderung der Not. 

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http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rauhes_Haus_Betsaal_1846.jpg

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Das 'Rauhe Haus' wurde 1833 von dem Theologen Johann Hinrich Wichern (1808–1881) in Hamburg gegrĂŒndet. Er hatte fĂŒhrende Hamburger Politiker und Kaufleute davon ĂŒberzeugt, verwahrloste und verwaiste Kinder aus den Elendsvierteln in einem 'Rettungsdorf' vor den Toren der Stadt unterzubringen.

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http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Adolph_Kolping.jpg

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Adolph Kolping war ein katholischer Geistlicher und BegrĂŒnder des heute weltweit aktiven Kolpingwerkes. Er setzte sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland mit der sozialen Frage auseinander und suchte Mittel, die schlechten LebensumstĂ€nde von wandernden Gesellen bzw. Arbeitern zu verbessern. Die von ihm gegrĂŒndeten katholischen Gesellenhospize sollten den Arbeitern ohne eigene Familie ein GefĂŒhl des Zuhauseseins und ein Mindestmaß an Geborgenheit vermitteln.

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Vertiefung

Initiativen christlicher Kirchen und Pfarrer zur Verbesserung der sozialen Lage der arbeitenden Menschen und Armen

  • Der evangelische Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh kĂŒmmerte sich als Leiter der Pflege- und Heilanstalten Bethel bei Bielefeld ab 1872 nicht nur um psychisch Kranke, sondern auch um Obdachlose, Wanderarbeiter und Arbeitslose. Dazu grĂŒndete er auch sogenannte Arbeitskolonien, in denen HilfsbedĂŒrftige Arbeitsmöglichkeiten statt Almosen bekamen. 
  • Der evangelische Theologe Johann Heinrich Wichern grĂŒndete 1833 in Hamburg das sogenannte 'Rauhe Haus', eine Sozialeinrichtung fĂŒr verwahrloste Kinder. Sie konnten dort wohnen und lernen, mussten aber auch arbeiten. 
  • Der katholische Domvikar Adolph Kolping grĂŒndete Sozialvereine, die noch heute seinen Namen tragen. Im Jahr 1867 wurde in Dresden die Diakonissenanstalt gegrĂŒndet, in der Kranke kostenfrei oder gegen geringe Bezahlung medizinisch betreut wurden.
  • Der Papst forderte den Staat auf, die LebensverhĂ€ltnisse der Armen zu verbessern: Die Arbeitszeiten sollten verkĂŒrzt werden. Außerdem forderte er Maßnahmen zur EinschrĂ€nkung der Frauen- und Kinderarbeit sowie die Zahlung gerechter Löhne. Papst Leo XIII. warnte in seiner Enzyklika 'Rerum Novarum' mit deutlichen Worten vor den Folgen einer Spaltung der Gesellschaft.

Frage: Viele Pfarrer sprachen davon, dass sie Innere Mission betreiben. Was ist eigentlich „Innere Mission“?
Antwort:
Pfarrer Wichern (siehe oben) verbreitete den Begriff. Er ist eine Mischung aus Sozialarbeit und einer neuen Verbreitung der Werte des christlichen Glaubens. Wenn du mehr wissen willst, lies hier nach: Infoportal der Diakonie Deutschland.

Marcus Ventzke, Institut fĂŒr digitales Lernen

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Quelle

Der evangelische Pastor Johann Hinrich Wichern fordert die Kirche auf, sich den sozialen Problemen zuzuwenden (1848)

Die Angelegenheiten des Proletariats mĂŒssen auf die Kanzeln und so in die Gemeinden gebracht werden. [...] Aber es soll nicht bloß gepredigt werden. FĂŒr ebenso wichtig halten wir den damit verbundenen persönlichen Besuch der Proletarier und den Verkehr mit ihnen in ihren HĂ€usern, an ihren öffentlichen ArbeitsstĂ€tten, bei Eisenbahnen, bei Erd- und Wasserarbeiten usw. Was hilft es, wenn der Staat Tausende dieser armen BrĂŒder in ferne Arbeit, z. B. an Eisenbahnen, zu Kanalbauten u. dgl. entsendet [...]? Durch diese Entsendung der Proletarier wird die kommunistisch-revolutionĂ€re Materie nur umso mehr verteilt, aber nicht ĂŒberwunden, denn OrtsverĂ€nderungen wecken keine GesinnungsverĂ€nderungen, wie freilich hundertmal geglaubt wird. Die Kirche muss ein allumfassendes Auge werden und ein fĂŒr alle ihre Glieder und fĂŒr die unglĂŒcklichsten derselben am wĂ€rmsten schlagendes Herz. Das wird sich unseres Erachtens kaum anders ermöglichen lassen, als durch Aufstellung solcher Armen- und Proletarierprediger, die selber arm sein mĂŒssen.

Peter Meinhold (Hg.), Johann Hinrich Wichern. SĂ€mtliche Werke, Bd. 1, Berlin/Hamburg 1962, S. 142ff.

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Quelle

Die Sozialenzyklika 'Rerum Novarum'Papst Leos XIII. (1891

Folgende Pflichten berĂŒhren den Lohnarbeiter: Er soll zu dem, was in seinem Arbeitsvertrag mit Freiheit und Gerechtigkeit abgemacht ist, voll und ganz stehen; er soll sich im ArbeitsverhĂ€ltnis jeder SachbeschĂ€digung und auch persönlichen Verletzung des Arbeitgebers enthalten; bei der Wahrnehmung seiner Interessen soll er nicht zu GewalttĂ€tigkeiten greifen und Empörung anzetteln; er soll nicht gemeinsame Sache machen mit verbrecherischen Menschen, die in wohlgesetzten Reden das Blaue vom Himmel versprechen und schließlich ihren GlĂ€ubigen allzu spĂ€te Reue und die Scherben von Hab und Gut zurĂŒcklassen.
Folgende Pflichten gehen den Besitz und Arbeitgebertum an: Man soll den Arbeiter nicht wie einen Hörigen ansehen; man soll in ihm jene persönliche WĂŒrde achten, die ihm als Christen eignet; [...] Desgleichen ist zu fordern, dass den religiösen und geistigen BedĂŒrfnissen des Lohnarbeiters Rechnung getragen wird. [...] Der Arbeitgeber soll den Arbeiter auch nicht ĂŒber seine GebĂŒhr belasten und ihm nicht Arbeiten geben, die entweder zu seinem Alter oder zu seinem Geschlecht nicht passen.
Zu den wichtigsten Verpflichtungen des Arbeitsgebers gehört es aber, jedem ein gerechtes Entgelt zu geben.

Gustav Gundlach (Hg.), Die sozialen Rundschreiben Leos XIII. und Pius XI., Paderborn 1931, S. 19f.

3.4 Einige Unternehmer setzten Zeichen fĂŒr eine Linderung des Arbeiterelends

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In der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts bemĂŒhten sich einige erfolgreiche Unternehmer, die Lage ihrer Arbeiter zu verbessern. Sie hatten verstanden, dass sie ihre Unternehmen langfristig nur dann erfolgreich fĂŒhrten konnten, wenn die Arbeiter nicht nur ausgepresst und unterdrĂŒckt wurden. Sie begannen, in ihren Firmen soziale Einrichtungen zu schaffen und die Arbeiter sozial abzusichern. Es wurden zum Beispiel betriebliche Kranken- und Rentenkassen gegrĂŒndet. Geregelte Pausenzeiten und Werkskantinen sollten den normalen Arbeitsalltag der Arbeiter verbessern.

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Hintergrund

Betriebliche Sozialleistungen – ein vergiftetes Angebot?

Die Maßnahmen von Unternehmern verbesserten das alltĂ€gliche Leben der Arbeiter und ihrer Familien und banden die Arbeiter an die Firmen. Damit verstĂ€rkten sie aber auch die Macht der Unternehmer ĂŒber die Arbeiter. Diese arbeiteten nun nicht mehr nur im Unternehmen, sie lebten in ihm. Und sie hatten viel zu verlieren, wenn sie die Firma verlassen mussten.
Das Prinzip der unternehmerischen Maßnahmen lautete: 'Alles fĂŒr den Arbeiter, nichts durch den Arbeiter.' Politisch aktive Sozialisten kamen deshalb oft nicht in den Genuss der betrieblichen Sozialleistungen: Sie erhielten keine Wohnung oder durften einem Betriebsverein nicht beitreten.

Lukas Epperlein, Digitale Lernwelten GmbH

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Urheber: private collection of Wolfgang Sauber

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kleinzschocher_-_Meyersche_H%C3%A4user_2.jpg

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Meyer'sche HĂ€user in Leipzig: Der Leipziger Verleger Hermann Julius Meyer (1826–1909) ließ ab 1888 Wohnungen fĂŒr Arbeiter errichten, die ein bezahlbares und gesundes Wohnen ermöglichen sollten. DafĂŒr wurde erst ein Verein und spĂ€ter eine Stiftung gegrĂŒndet. Die Wohnungen waren gut zu belĂŒften, hatten fließendes Wasser und einen kleinen Balkon. Tageslicht fĂ€llt in die RĂ€ume. In der Mitte der Baublöcke wurden großzĂŒgige GrĂŒnflĂ€chen angelegt. Gemeinschaftseinrichtungen standen allen Bewohnern zur VerfĂŒgung.

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Urheber: L.E.rewi-sor

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:MeyerscheH%C3%A4user_Lindenau_Hahnemannstrasse_Rossmarktstrasse.jpg

PDBYSA

Meyer'sche HĂ€user in Leipzig: Der auf Betreiben Hermann Julius Meyers 1888 grĂŒndete 'Verein zur Erbauung billiger Wohnungen' wurde von ihm mit 2 Millionen Reichsmark Startkapital ausgestattet. Damals eine gewaltige Summe. Aufgabe des Vereins war es, in Leipzig HĂ€user zu bauen und diese gĂŒnstig an Arbeiter und Angestellte zu vermieten.

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Urheber: E.A.Lehmann, verlegt im Meinhold-Verlag

https://www.stadtwikidd.de/wiki/Datei:Stadtplanausschnitt_Hellerau_1922.jpg#filehistory

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Am damaligen Stadtrand von Dresden wurde in Hellerau eine sogenannte Gartenstadt errichtet. Dort ließ der Möbelfabrikant Karl Schmidt ab 1909 eine neu gedachte Stadt errichten, in der Arbeiten, Wohnen, Bildung, Kultur und Freizeit in ein neues, menschenwĂŒrdiges VerhĂ€ltnis zueinander gebracht werden sollten. Es entstand eine Siedlung mit WohnhĂ€usern fĂŒr Arbeiter, dazu GeschĂ€fte, eine Schule, ein Marktplatz usw. Die HĂ€user sind einzeln oder in Zeilen errichtet. Sie sind umgeben von GĂ€rten und öffentlichen GrĂŒnflĂ€chen.

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Urheber: BrĂŒck & Sohn Kunstverlag Meißen

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:13474-Hellerau-1911-total-Br%C3%BCck_%26_Sohn_Kunstverlag.jpg

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Eine Postkarte zeigt einen Blick auf Hellerau im Jahr 1913.

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Urheber: BrĂŒck & Sohn Kunstverlag Meißen

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:14535-Hellerau-1912-Dalcroze_-_Schule-Br%C3%BCck_%26_Sohn_Kunstverlag.jpg

Cc0BYSA

Das Festspielhaus von Hellerau entstand im Jahr 1911. Es war und ist der Ort vieler neuer kultureller Ideen: Ausdruckstanz, Kurse fĂŒr rhythmische Bewegung, neue musikalische Ausdrucksformen – das prĂ€gt das Festspielhaus und seine Einrichtungen bis heute.

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https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Festspielhaus_Hellerau_1913.png

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Das Festspielhaus im Jahr 1913

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Urheber: BrĂŒck & Sohn Kunstverlag Meißen

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:12408-Hellerau-1911-Deutsche_Werkst%C3%A4tten-Br%C3%BCck_%26_Sohn_Kunstverlag.jpg

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Die Deutschen WerkstĂ€tten Hellerau setzten viele Reformideen fĂŒr das Leben in einer Industriegesellschaft um: praktische Möbel aus Sperrholzplatten, erweiterbare Serien von Möbeln usw.

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http://commons.wikimedia.org/wiki/File:C.E.Gaetckes_Wohnungen.jpg

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Hier sind die Kinder von Glasarbeitern der Firma C.E. GĂ€tcke in Ottensen (Hamburg-Altona) zu sehen. Sie stehen vor den Werkswohnungen der Firma. Anstatt sich nach der Arbeit im Wirtshaus zu betrinken und sich dort vielleicht Sozialdemokraten anzuschließen, sollten die Arbeiter nach Ansicht der Firmeninhaber besser zu ihren Familien in die nun zur VerfĂŒgung gestellten Wohnungen gehen.

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Quelle

Friedrich Harkort ĂŒber die Notwendigkeit der UnterstĂŒtzung der Arbeiter (1844)

Nach jetzigen VerhĂ€ltnissen leistet der Arbeiter gewisse Dienste gegen einen gewissen Lohn [
]; weiter kĂŒmmert ihn weder die Wohlfahrt der Fabrik noch des Unternehmers. Die Arbeitskraft tritt noch zu roh und ungebildet auf, als dass eine engere Verbindung mit dem Kapitale möglich wĂ€re. Denken wir uns indessen eine sittlich gebildete Masse von Individuen, dann könnte ein glĂŒckliches VerhĂ€ltnis stattfinden. Außer den festen Löhnen wĂ€re der Arbeit ein Anteil an Gewinn zuzugestehen, und Fleiß und TĂ€tigkeit wĂŒrden Wunder tun.

Friedrich Harkort, Bemerkungen ĂŒber die Hindernisse der Zivilisation und Emanzipation der unteren Klassen. Frankfurt am Main 1919, S. 23 ff.

Wohnungen fĂŒr Angestellte bauen? Gibt's das heute auch noch?

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Appel Park als zentraler Firmensitz mit verschiedenen Einrichtungen fĂŒr Angestellte
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Urheber: Arne MĂŒseler

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Apple_park_cupertino_2019.jpg

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Das Hauptquartier der Firma Apple in Kalifornien: faszinierende und kreative Architektur mit einem 10.000 m2 großen Fitnessbereich fĂŒr Mitarbeiter, Versorgungseinrichtungen, NaturflĂ€chen fĂŒr Sport und Entspannung, einer natĂŒrlichen Klimatisierung und vielen anderen modernen Ideen, die das Arbeiten fĂŒr Apple angenehm machen sollen. Warum machen Unternehmen das heute? Und warum haben sie es frĂŒher gemacht?

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Urheber: SleepyCats | pixabay

Pixabay

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Heutiges Armenviertel in Hongkong: Wohnort vieler Menschen, die fĂŒr Hungerlöhne als Transportarbeiter, HaushaltskrĂ€fte, Industriearbeiter und in weiteren schlecht bezahlten Berufen arbeiten. In ihren UnterkĂŒnften herrscht Enge, es gibt nur schlechte hygienische VerhĂ€ltnisse und keinen Komfort.
Die soziale Frage – ein stĂ€ndiges Problem der Menschheit?

3.5 Die Reaktionen des Staates auf die Arbeiterbewegung und die sozialen Probleme

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Plakat, das die Teile der Sozialversicherung als Äste eines starken Baumes zeigt
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Urheber: unbekannt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1980-091-21,_Schaubild_der_Arbeiterversicherung.jpg

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Invaliden- und Altersversicherung, Krankenversicherung und Unfallversicherung als Äste eines starken Baumes

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Urheber: Unbekannter Karikaturist des Punch

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Punch_1878_-_Socialist_jack_in_the_box.png?useFormat=mobile

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Die sozialistische Gefahr springt aus der Kiste. Satirisches Bild aus der englischen Zeitschrift „Punch“

Die Regierungen in Deutschland gingen auf das Anwachsen der Arbeiterbewegung und die sozialen MissstÀnde mit einer Doppelstrategie ein:

Reichskanzler Otto von Bismarck versuchte, die 'sozialistischen Umtriebe' mit Polizei und Vereinsgesetzen zu bekĂ€mpfen. Im Jahre 1878 ließ er im Reichstag das sogenannte Sozialistengesetz beschließen. Es verbot politische AktivitĂ€ten im Sinne der Arbeiterbewegung. Versammlungen sozialistischer Vereine oder öffentliche Demonstrationen waren damit nicht mehr möglich. Die SPD wurde zwar nicht verboten und ihre Kandidaten konnten weiterhin in den Reichstag gewĂ€hlt werden, trotzdem verlagerte sich ein großer Teil der sozialistischen AktivitĂ€ten in den Untergrund. Das Gesetz galt bis 1890. Es konnte das Erstarken der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften jedoch nicht verhindern.
Bismarck erkannte jedoch auch, dass die sozialen VerĂ€nderungen der Industriegesellschaft nicht aufgehalten werden konnten. Das Elend der Arbeiter war real vorhanden und ihre Forderungen ließen sich nicht dauerhaft mit Polizeigewalt unterdrĂŒcken. Seine Schlussfolgerung war daher: „Der Staatssozialismus paukt sich durch.“ Er wollte durch staatliche Maßnahmen die Lage der Arbeiter verbessern. Dazu fĂŒhrte er eine Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung ein. Mit diesen Maßnahmen gelang es, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu festigen und die Gesellschaft des Deutschen Reiches zu stabilisieren.

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Zusammenfassung

Die Sozialgesetzgebung Bismarcks

1883: EinfĂŒhrung der Krankenversicherung

  • Pflichtversicherung fĂŒr Arbeitnehmer, die zu einem Drittel durch die Arbeitgeber und zu zwei Dritten von den Arbeitnehmern bezahlt wurde.
  • kostenlose Versorgung (medizinische Behandlung und Medikamente) im Krankheitsfall fĂŒr 13 Wochen
  • Zahlung von Lohnausfallgeld von 50 % des Lohns fĂŒr 13 Wochen, höchstens zwei Reichsmark pro Arbeitstag

1884: EinfĂŒhrung der Unfallversicherung

  • Pflichtversicherung, die von den Arbeitgebern bezahlt wurde
  • Zahlung von Lohnausfallgeld ab der 14. Woche nach dem Unfall
  • Bei voller ErwerbsunfĂ€higkeit wurden zwei Drittel des Lohns als Rente gezahlt.
  • Bei einem tödlichen Unfall des Arbeiters wurde ein FĂŒnftel seines Lohns an seine Witwe gezahlt.

1889: EinfĂŒhrung der InvaliditĂ€ts- und Altersversicherung

  • Arbeiter mussten fĂŒnf Jahre versichert sein und Mindestbeitrag gezahlt haben, um Anspruch auf Leistungen zu haben. Versicherungspflicht bestand ab dem 16. Lebensjahr und fĂŒr alle Arbeitnehmer, die ein Jahreseinkommen unter 2000 Reichsmark hatten.
  • Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen
  • Rentenzahlung mit Vollendung des 70. Lebensjahrs (ein Drittel des Durchschnittslohns)
  • Als Invalide galt ein Arbeitnehmer, wenn seine ErwerbsfĂ€higkeit um zwei Drittel vermindert war. Dann bekam er ebenfalls eine Rente.

Benjamin Heinz, Institut fĂŒr digitales Lernen.

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Quelle

Auszug aus dem 'Sozialistengesetz' (gĂŒltig von 1878 bis 1890)

§ 1: Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, sind zu verbieten. Dasselbe gilt von Vereinen, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische, auf den Umsturz gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefÀhrdenden Weise zutage treten.

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Aufgabe

Verfasse zusammen mit einem Partner einen Dialog zwischen zwei Arbeitern, die sich ĂŒber Bismarcks Politik streiten. Der eine ist Sozialist und Gegner der Bismarckschen Politik, der andere verteidigt die Vorteile dieser Politik fĂŒr die Arbeiter.

So könnt ihr dabei vorgehen:

  • Verteilt die Rollen „Arbeiter“ und „Reichskanzler“.
  • Jeder entwirft fĂŒr die von ihm ĂŒbernommene Rolle drei Argumente und notiert diese in Stichworten.
    Beispiel: 
    - Arbeiter: Zahlungen der Versicherungen sind ...
    - Reichskanzler: Arbeiter mĂŒssen keine Angst mehr haben ...
  • Arbeitet eure einzelnen Argumente schriftlich aus, ungefĂ€hr so:
    - Arbeiter: „Ich bin gegen ihre Politik, weil ...“
    - Reichskanzler: „Meine Politik ist gut fĂŒr die Arbeiter, weil ...“
  • Tauscht die Argumente aus und arbeitet die Argumente der anderen Seite durch.
  • Bewertet die Argumente beider Seiten.

Hinweis: Beachtet, dass ihr bei einer Bewertung eure eigene Meinung einbeziehen mĂŒsst.

3.6 Fassen wir zusammen:

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Video zur Sozialen Frage

Über diesen Link findest du ein kurzes Video zur Sozialen Frage.

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Aufgabe

  1. Definiere den Begriff „soziale Frage“. Nutze dafĂŒr auch die ersten 14 Sekunden des Videos „Die soziale Frage“.
  2. FĂŒlle die folgende Tabelle aus:
    - In der ersten Spalte trÀgst du die Probleme der Arbeiter und ihrer Familien ein.
    - In der zweiten Spalte ordnest du den Problemen LösungsansÀtze zu.
  3. Notiere dir diejenigen Probleme, denen du keine LösungsansÀtze zuordnen konntest.

3.7 Stellt sich die soziale Frage auch heute?

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? Kinderarbeit I Kinderarbeit II Kinderarbeit III Kinderarbeit IV
Kinderarbeit I Kinderarbeit II Kinderarbeit III Kinderarbeit IV
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Abschlussaufgabe zum Modul 'Industrialisierung und soziale Frage'

Wir sind am Ende des Moduls angelangt. Nun kannst du zeigen, was du gelernt hast. Ich bin davon ĂŒberzeugt, dass man am meisten lernt, wenn man sein Wissen anwendet. Los geht's.

Im Element 34 siehst du immer ein Beispiel fĂŒr Kinderarbeit frĂŒher und in der Gegenwart. Sie stammen aus den Branchen Textilherstellung und Bergbau. Du siehst: Die soziale Frage ist keineswegs ein Thema der Vergangenheit. Auch heute werden Menschen ausgebeutet, bekommen geringe Löhne, wohnen unter schlechten Bedingungen und bekommen keine oder nur wenig medizinische Hilfe.

  1. Recherchiere nach einem Beispiel fĂŒr schlechte Arbeit- und Lebensbedingungen.
  2. Sammle dabei Informationen zu folgenden Bereichen:
    - Einzelheiten zur TĂ€tigkeit
    - Schwierigkeiten und Gefahren der ausgefĂŒhrten TĂ€tigkeit
    - Höhe der Entlohnung
    - soziale Absicherung (Kranken- und Rentenversicherung) durch die TĂ€tigkeit?
    - LebensverhĂ€ltnisse der Menschen, die diese TĂ€tigkeit ausfĂŒhren (Wohnung, Urlaub?, Freizeit?, ...)
  3. Erarbeite einen digitalen Beitrag zum Beispiel mit Texten, Bildern, Videos/Videolinks, der auf das soziale Problem aufmerksam macht und konkrete LösungsvorschlÀge zur Verbesserung der Lage der Menschen enthÀlt.
  4. Stelle deinen Beitrag den Mitgliedern deiner Lerngruppe vor.
  5. Diskutiert alle BeitrÀge eurer Lerngruppe und stellt sie auf der Seite eurer Schule online.