Die Industrialisierung fĂŒhrte zu einer groĂen Spaltung der Gesellschaft: auf der einen Seite die reichen Fabrikbesitzer und Bankiers. Sie investierten, lieĂen Fabriken bauen und nutzten die neuen Erfindungen fĂŒr maschinengetriebene Produktion. Auf der anderen Seite standen die Arbeiter. Sie bekamen von den neuen ReichtĂŒmern nichts oder kaum etwas ab. In diesem Kapitel kannst du der Frage nachgehen, warum das so war und welche Wirkungen die Industrialisierung auf die Lebens- und ArbeitsverhĂ€ltnisse der Menschen hatte. Du wirst erkennen, dass Fortschritt und Massenproduktion sich nicht automatisch gut auf das Leben aller Menschen auswirken.
2.1 Aufteilung der Gesellschaft anhand des Besitzes
Mit dem Fabrikwesen entstanden zugleich auch neue Gesellschaftsschichten: auf der einen Seite die Besitzer der neuen Fabriken und Anlagen und auf der anderen Seite die Industriearbeiterschaft, das sogenannte Proletariat. Die Fabrikbesitzer konnten ĂŒber die Art der Produktion, ĂŒber Einstellungen und Entlassungen von Arbeitern und ĂŒber die Verteilung des erwirtschafteten Gewinns entscheiden. Die Arbeiter aber besaĂen nur ihre Arbeitskraft und konnten daher leicht ausgebeutet werden. Ohne eine Anstellung in den Fabriken konnten sie sich und ihre Familien nicht ernĂ€hren. Sie waren erpressbar und daher oft gezwungen, schlechte Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten und niedrige Löhne hinzunehmen.
Die Fabrikbesitzer und Investoren gaben in der Wirtschaft des 19. Jahrhunderts den Ton an. Sie lieĂen riesige Produktionsanlagen bauen, förderten den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und erwarben einen mitunter mĂ€rchenhaften Reichtum. Damit stieg auch ihr politischer Einfluss. Die Arbeit wurde dadurch immer mehr dem Profitstreben der Unternehmer untergeordnet. Die Fabrikbesitzer setzten mit allen Mitteln auf eine stetige Steigerung der Produktion. Mehr Absatz versprach mehr Gewinn. Die Gewinne verblieben aber gröĂtenteils bei den Fabrikbesitzern und kamen nicht den Arbeitern zugute.
Die Fabrikarbeiter waren gezwungen, ihre Arbeitskraft an die Besitzer der Fabriken zu verkaufen. Sie wurden oftmals unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet: 12 bis 14 Stunden Arbeitszeit und Hungerlöhne. Nur so konnten sie sich und ihren Familien ein Ăberleben sichern. Da sehr viele Menschen in die StĂ€dte kamen, war das Angebot an Arbeitskraft sehr hoch und die Preise fĂŒr diese Arbeitskraft sanken. Viele waren gezwungen, fĂŒr einen Hungerlohn zu schuften. Somit war den Arbeitern jegliches Druckmittel fĂŒr einen erfolgreichen Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen genommen. Wer sich beschwerte, wurde einfach durch einen anderen Arbeiter ersetzt.
Die Masse der Arbeiter geriet somit in eine AbhĂ€ngigkeit, aus der sie sich nicht befreien konnte.Â
Schema: Kapitalistische Produktionsweise
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Folgen der Ausbeutung in der Industrialisierungszeit: Pauperismus
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Folgen der Ausbeutung in der Industrialisierungszeit: Pauperismus
Vor Beginn der Industrialisierung waren die Familien wichtige StĂŒtzen der sozialen Sicherheit und menschlichen Geborgenheit. Die massiven UmwĂ€lzungen durch die Fabriken fĂŒhrten zum Anstieg von Vereinzelung, sozialem Elend und innerfamiliĂ€rer Gewalt. Auch die Frauen und Kinder der Arbeiter mussten sich fĂŒr Hungerlöhne ausbeuten lassen und das Geld reichte selbst dann nicht fĂŒr eine menschenwĂŒrdige Existenz.
Viele Familien litten unter der Trinksucht der MĂ€nner, die ihre harten Arbeitsbedingungen mit Alkohol vergessen wollten.
Die Maschinenproduktion normierte nicht nur die Arbeit, sie fĂŒhrte auch zu hohen Verletzungsgefahren, produzierte Hitze und Abgase, vor denen die Arbeiter nicht geschĂŒtzt waren. Gesetzliche Arbeitsschutzregelungen gab es lange Zeit nicht oder nur unzureichend. Die Proletarier rackerten fĂŒr Hungerlöhne, hausten mit ihren Familien in Elendsquartieren und hatten keine Möglichkeit, diesem Schicksal durch eigene Anstrengung zu entrinnen. Die Zeit der Industrialisierung wird daher auch oft als Zeit des 'Pauperismus' (lat. pauper = arm) bezeichnet. Dieser Begriff hebt das zentrale Merkmal der Zeit hervor: Millionen Menschen waren langfristig arm.
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Kinderarbeit â der Kapitalismus ist gnadenlos
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Kinderarbeit â der Kapitalismus ist gnadenlos
Auch Kinder mussten oftmals in die Fabrik zur Arbeit gehen, um das Ăberleben der Familien zu sichern. Einige Kinder arbeiteten schon mit drei Jahren und wurden noch viel schlechter bezahlt als ihre Eltern. FĂŒr Spielen und Schulbesuch blieb keine Zeit. Die gesundheitsschĂ€dlichen Arbeitsbedingungen wirkten sich auf die Heranwachsenden sehr negativ aus: RĂŒckenverkrĂŒmmungen und Atemwegserkrankungen waren bei Arbeiterkindern nicht selten. Staatliche Behörden waren zunĂ€chst ĂŒberfordert bei der Regulierung der Kinderarbeit. Das Königreich PreuĂen verbot zwar 1839 die Arbeit fĂŒr Kinder unter neun Jahren, weil immer weniger gesunde Rekruten fĂŒr die Armee zur VerfĂŒgung standen, in der Praxis lieĂ sich diese Regelung aber schwer durchsetzen. Neun- bis sechszehnjĂ€hrige Kinder hingegen durften bis zu 10 Stunden am Tag arbeiten.
Aufgabe
- Arbeite den Abschnitt 2.1 dieses Moduls durch.
- Bereite einen SchĂŒlervortrag mit dem Titel âDie Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reicheâ vor.
Hinweise:
- Du kannst dich zur Gliederung des Vortrags am Schema âKapitalistische Produktionsweiseâ orientieren.
- ErklÀre in deinem Vortrag den Begriff Mehrwert.
- ErlÀutere die unterschiedlichen Rollen von Arbeitern und Fabrikherren und beurteile sie.
2.2 Die 'soziale Frage' stellt sich
Die MissstĂ€nde in den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter fĂŒhrten zu Unruhen und Streiks. Arbeiter drangen zum Beispiel in die Fabrikhallen ein und zerstörten Maschinen, weil sie diese fĂŒr die Ursache ihrer Ausbeutung hielten. Wie lange wĂŒrden die Gesellschaften diese Spannungen aushalten? Es musste sich etwas Ă€ndern. Aber was? Die 'soziale Frage' war gestellt.
Obwohl auch Zeitgenossen aus den höheren Schichten die soziale Frage als ein dringendes Problem ansahen, wurde zunĂ€chst nur wenig unternommen. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Spaltung der Gesellschaft in wenige Reiche und viele Arme auf Dauer zu AufstĂ€nden und Revolutionen fĂŒhren musste. Vor allem diese Angst vor einer Revolution bewog die Unternehmer und Regierungen, Antworten auf die soziale Frage zu suchen.
StÀdte wachsen. Wie wohnten Fabrikherren und Arbeiter?
Die Arbeits- und Wohnbedingungen der Industriearbeiter waren extrem schlecht. Ausreichend Wohnraum stand fĂŒr Arbeiter in den StĂ€dten nicht zur VerfĂŒgung. Da immer mehr Menschen in die StĂ€dte drĂ€ngten, wurden billige Mietwohnungen in dichter Bebauung errichtet. In den Ballungszentren bildeten diese âMietskasernenâ enge HĂ€userschluchten. Sie hatten viele kleine Wohnungen mit feuchten und dunklen Hinterhöfen. Viele Arbeiterfamilien mussten, von der Not getrieben, mit nahezu jeder Behausung vorliebnehmen. Die Fabrikbesitzer dagegen residierten in riesigen Prachtbauten.
Arbeiterwohnungen: ungesund, eng, dunkel, stickig ohne Komfort
Ganze Stadtviertel wurden von Arbeitern und ihren Familien bewohnt: Die Blocks wurden von engen HÀuserzeilen gebildet, Abgase vom Heizen und Kochen konnten kaum abziehen. AbfÀlle wurden nicht angemessen beseitigt. Oft entstanden in solchen Vierteln Seuchen.
Fabrikbesitzervillen als LuxuspalÀste mit allem Komfort des Industriezeitalters
Aufgabe
In diesem Modul wurden verschiedene soziale Probleme beschrieben, die in ihrer Gesamtheit zur sozialen Frage fĂŒhrten.
- Sieh dir die Galerie im Element 9 an. Suche fĂŒr jedes Bild eines der in den Texten beschriebenen Probleme aus, das zu dem Bild passt. BegrĂŒnde deine Zuordnung.
Hinweis:
Nutze zur Bearbeitung der Aufgabe die Elemente 2, 3, 6, 7 und 11.
Das Elend der Arbeiterfamilien: Enge, schlechte Nahrung, Krankheiten
Quelle
Der Sozialist und Philosoph Friedrich Engels (1820 â 1895) ĂŒber die LebensverhĂ€ltnisse englischer Arbeiter im 19. Jahrhundert
Quelle
Der Sozialist und Philosoph Friedrich Engels (1820 â 1895) ĂŒber die LebensverhĂ€ltnisse englischer Arbeiter im 19. Jahrhundert
Man gibt ihnen feuchte Wohnungen, Kellerlöcher, die von unten, oder Dachkammern, die von oben nicht wasserdicht sind. Man baut ihre HĂ€user so, daĂ die dumpfige Luft nicht abziehen kann. Man gibt ihnen schlechte, zerlumpte oder zerlumpende Kleider und schlechte, verfĂ€lschte und schwerverdauliche Nahrungsmittel. Man setzt sie den aufregendsten Stimmungswechseln [âŠ] aus â man hetzt sie ab wie das Wild und lĂ€Ăt sie nicht zur Ruhe und zum ruhigen LebensgenuĂ kommen. Man entzieht ihnen alle GenĂŒsse auĂer dem GeschlechtsgenuĂ und dem Trunk, arbeitet sie dagegen tĂ€glich bis zur gĂ€nzlichen Abspannung aller geistigen und physischen KrĂ€fte ab.
Quelle
Ein GroĂstadtarzt berichtet 1894 ĂŒber die LebensverhĂ€ltnisse von Arbeiterfamilien
Quelle
Ein GroĂstadtarzt berichtet 1894 ĂŒber die LebensverhĂ€ltnisse von Arbeiterfamilien
Das Familienleben der Arbeiter beginnt sehr frĂŒh und endigt sehr frĂŒh. Die Arbeiter grĂŒnden meist sehr jung einen Hausstand und mĂŒssen dann ihre Kinder in ganz jungen Jahren aus der Familie entfernen, daĂ sie sich bei fremden Leuten selbst ihr Brot suchen. [...] In einer solchen jungen Proletarierehe fehlt es oft am notwendigsten Hausrate; was vorhanden ist, die Betten, ein Kleiderschrank, ein Tisch, ein paar StĂŒhle, ein Sofa, ist in der Regel auf Borg entnommen und muĂ erst allmĂ€hlich abgezahlt werden. [...] Es gibt auch Eheleute, die nicht einmal genĂŒgend Geld haben, ĂŒberhaupt eine Wohnung, eine einzige Stube fĂŒr sich allein zu mieten. Sie schlafen dann mit andern, fremden Leuten zusammen, mit halbwĂŒchsigen Kindern oder SchlafgĂ€ngern in ein und demselben Zimmer. Vielfach langt der Verdienst nicht einmal zur Beschaffung zweier Betten, und die Eheleute schlafen dann in einem schmalen Bette zusammen.
Darstellung
Der Historiker Axel Kuhn beschreibt die ersten Arbeiterfamilien
Darstellung
Der Historiker Axel Kuhn beschreibt die ersten Arbeiterfamilien
Die Arbeiterfamilie war halb offen, weil die wirtschaftliche Not Mann, Frau und gröĂere Kinder in die Fabriken trieb. Kleine Kinder wurden oft stundenlang allein gelassen und nicht selten an einen Stuhl gebunden, damit sie sich nicht beim Herumlaufen verletzten. Die proletarische Familie war auch halb offen durch das PhĂ€nomen des SchlafgĂ€ngers. Das war ein Untermieter, der in der Arbeiterfamilie kein Zimmer, sondern nur ein Bett gemietet hatte, das er schichtweise mit dem Familienvater oder einem anderen Kollegen teilte.
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Aus einer ErzĂ€hlung ĂŒber die katastrophalen Auswirkungen der harten Fabrikarbeit auf die Gesundheit der Arbeiter
Darstellung
Aus einer ErzĂ€hlung ĂŒber die katastrophalen Auswirkungen der harten Fabrikarbeit auf die Gesundheit der Arbeiter
Mein Vater war Spinnmeister [...]. Er hat bis Anfang der 50er Jahre [1850er Jahre, d. A.] jeden Tag, den Gott werden lieĂ, vierzehn, fĂŒnfzehn, sechzehn Stunden bei der Arbeit stehen mĂŒssen:âš Vierzehn Stunden, von morgens fĂŒnf bis abends sieben, bei normalem GeschĂ€ftsgang; sechzehn Stunden, von morgens vier bis abends acht Uhr, bei gutem GeschĂ€ftsgang â und zwar ohne jede Unterbrechung, selbst ohne Mittagspause. Ich selbst habe als Junge zwischen fĂŒnf und neun Jahren jeden Tag abwechselnd mit meiner [...] Schwester [...] meinem Vater das Mittagessen gebracht. Und ich habe dabeigestanden, wenn mein Vater sein Mittagessen, an eine Maschine gelehnt oder auf eine Kiste gekauert, aus dem Henkeltopf mit aller Hast verzehrte, um mir dann den Topf geleert zurĂŒckzugeben und sofort wieder an seine Arbeit zu gehen. Mein Vater war ein Mann von HĂŒnengestalt, einen halben Kopf gröĂer als ich, von unerschöpflicher Robustheit, aber mit 48 Jahren in Haltung und Aussehen ein Greis; seine weniger robusten Kollegen waren aber mit 38 Jahren Greise.
Aufgabe
WĂ€hle eine der folgenden Aufgaben zu Bearbeitung aus:
1. Stelle das VerhÀltnis von Unternehmern und Angestellten/Arbeitern in der heutigen Zeit dar. Erarbeite dazu ein Plakat.
- Sammle bei Erwachsenen (z. B. Familienmitglieder) Aussagen ĂŒber das heutige VerhĂ€ltnis von Unternehmern und Angestellten/Arbeitern.
- Stelle diese Aussagen in einem Plakat dar.
- Leite zwei MaĂnahmen/Forderungen ab, die das VerhĂ€ltnis von Unternehmern und Angestellten/Arbeitern in der Gegenwart verbessern können. Bringe diese ebenfalls auf das Plakat.
- Mach ein Foto von deinem Plakat und sende es den MitschĂŒlern und deinem Lehrer.
- Stelle das Plakat deiner Gruppe vor und bewerte dabei am Ende das VerhÀltnis von Unternehmern und Angestellten/Arbeitern zur Zeit der Industrialisierung und in der Gegenwart.
2. âEine starke Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche bedroht die industrielle Produktion.â ErlĂ€utere diese Aussage und gehe dabei auf den Zusammenhang von Ware und KĂ€ufer ein.