Jetzt ist es Zeit für die konkreten Beispiele. In diesem Teilmodul werden wir uns knapp 200 Jahre sächsische Migrationsgeschichte anschauen. In diesem Zeitraum sind Menschen aus Sachsen aus- und nach Sachsen eingewandert – und zwar fast die ganze Zeit. Was hat das mit Sachsen gemacht, was hat das mit den Migranten gemacht? Am Ende dieses Kapitels wirst du dazu etwas erzählen können.
2. Sorben in Texas und Flüchtlinge in Chemnitz
2.1 Serbin, Texas – ein sorbisches Dorf mitten in den USA
Etwa 80 km östlich der texanischen Hauptstadt Austin liegt die Kleinstadt Serbin. Gegründet wurde dieser Ort Mitte des 19. Jahrhunderts von sorbischen Auswanderern. Die Sorben leben in der Lausitz, heute vor allem in Ostsachsen und Südbrandenburg. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Lausitz eine der ärmeren Regionen des Deutschen Bundes. Doch mehr als wirtschaftliche Probleme machte den Sorben ihre Lage als sprachlich-kulturelle Minderheit zu schaffen. Sorbisch (ihre slawische Muttersprache) durfte an Schulen nicht unterrichtet werden und sorbische Namen wurden oft zwangsweise eingedeutscht. Als nun der preußische König Friedrich Wilhelm III. die lutherische Kirche (der die meisten Sorben angehörten) mit der reformierten Kirche zwangsvereinigte, hatten viele der tiefgläubigen Sorben genug.
Unter Führung des Pfarrers Jan Kilian wanderten im Jahr 1854 mehr als 500 Sorben über Bautzen, Hamburg und Liverpool nach Texas aus. Die USA waren für sie ein verheißungsvolles Ziel, weil der Staat den Menschen dort weitgehende religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Freiheit einräumte. In Texas konnten die Sorben ihre eigene Kirche und ihre eigene Schule bauen sowie auf eigenem Land durch eigene Arbeit zu Wohlstand kommen.
Galerie: Serbin, Texas
Aufgabe
Benenne die Push- und Pull-Faktoren, die bei der Auswanderung der Sorben nach Texas eine Rolle spielten.
2.2 Landflucht und Industrialisierung – Migranten schreiben Weltgeschichte
Im Modul über Industrialisierung erfährst du einiges darüber, was die Industrialisierung im 19. Jahrhundert ermöglichte. Es gab technischen Fortschritt, Rohstoffe wurden massenhaft für die Herstellung von Industriewaren und Energieerzeugung eingesetzt, Geld wurde angehäuft und in neue Anlagen investiert, wirtschaftliche Freiheit erlaubte die Gründung von Unternehmen. Und es entstand ein riesiges Heer von Arbeitern. Wer waren diese Arbeiter, die aus den Städtchen Manchester, Duisburg oder Chemnitz boomende Großstädte machten? Sie waren Migranten, die ihre Dörfer auf dem Land verließen, um sich in den Städten anzusiedeln. Die wachsenden Industriestädte benötigten einen ständigen Zustrom an Arbeitskräften. Sie waren nötig, um die neu entstehenden Fabrikhallen zu füllen und Maschinen zu bedienen. Aber in ihren Herkunftsorten fehlten die Arbeitskräfte mitunter. Manchmal wurden dann aus anderen Orten neue Landarbeiter angeheuert. Du siehst: Die Industrialisierung war eine Zeit der ständigen Migration.
Das Ziel: Boomtown Chemnitz!
Aufgabe
Beschreibe in eigenen Worten die Veränderung, die zwischen 1750 und
1890 im Chemnitzer Stadtaufbau stattgefunden haben.
Hinweis:
Das ist nicht ganz
einfach, da es sich bei der ersten Darstellung um eine Mischung aus Bild und Karte handelt und bei der zweiten um einen Plan. Beachte folgende Tipps:
- Die Bild-Karte von 1750 zeigt sowohl den Fluss Chemnitz als auch die historische Stadtmauer.
- Fluss und Stadtmauer sind im Stadtplan von 1890 noch zu erkennen (die Stadtmauer als ringförmige Straße um die Altstadt).
- Suche sie und beschreibe von ihnen ausgehend die Veränderung.
Chemnitz war im 19. Jahrhundert das Zentrum der sächsischen Industrialisierung. Los ging es mit Spinnmaschinen, dann kamen die großen Web- und Textilwerke, dann kam der Maschinen- und Eisenbahnbau. Fabrikanten wie Louis Schönherr, Richard Hartmann und Herbert Eugen Esche bauten Fabrik neben Fabrik und machten aus der Stadt ein boomendes Industriezentrum. Innerhalb des 19. Jahrhunderts verzwanzigfachte sich die Einwohnerzahl Chemnitz von 10.000 auf 200.000 Menschen. Es ist klar, dass diese vielen Menschen nicht aus der Stadt selbst kommen konnten. Sie waren größtenteils zugezogen, vor allem aus der näheren sächsischen Umgebung. Aber auch aus weiter entfernten Gegenden zogen Städte wie Chemnitz Menschen an. Je dichter das deutsche Eisenbahnnetz im 19. Jahrhundert wurde, umso günstiger wurden Reisen über weite Entfernungen. Daher machten sich immer öfter auch verarmte süddeutsche Landarbeiter oder böhmische Handwerker mit ihren Familien auf den Weg ins 'sächsische Manchester'.
Darstellung
Bevölkerungsentwicklung in Chemnitz von 1700 bis 1920
Darstellung
Bevölkerungsentwicklung in Chemnitz von 1700 bis 1920
Aufgabe
Fertige zur Bevölkerungsentwicklung von Chemnitz zwischen 1700 und 1920 ein Kurvendiagramm in deinem Heft an:
- Lege dafür ein Koordinatensystem an, in dem die x-Achse die Jahreszahlen, die y-Achse die Bevölkerungszahl angibt.
- Mach
dir Gedanken über deinen Maßstab, um alle Werte gut eintragen zu können:
- Wie viel Jahren muss 1 cm auf der x-Achse entsprechen?
- Wie viel tausend Einwohnern muss 1 cm auf der y-Achse entsprechen? - Markiere nun nacheinander alle Punkte in deinem Koordinatensystem und verbinde sie zu einer Kurve der Bevölkerungsentwicklung.
Aufgabe
Informiere dich über die Einwohnerzahl deiner Heimatstadt. Liegt sie über 20.000? Dann siehe 1.-3., ansonsten siehe 4.-6.
- Stell dir vor, die Einwohnerzahl deiner Heimatstadt würde sich durch Zuzug verdoppeln.
- Vermute (positive und negative) Veränderungen einer solchen Situation.
- Skizziere schriftlich mögliche Lösungen für auftretende Probleme.
- Stell dir vor, die Einwohnerzahl deiner Heimatstadt würde sich durch Abwanderung in die nächste Stadt halbieren.
- Vermute (positive und negative) Veränderungen einer solchen Situation.
- Skizziere schriftlich mögliche Lösungen für auftretende Probleme.
Hinweis: Veränderungen könnten auf
folgenden Gebieten auftreten:
Wohnraum, Gesundheit, Arbeit, Verkehr,
Wirtschaftsleben/Geschäfte, Finanzen/Steuern. Vielleicht findest du ja
noch mehr.
Darstellung
Ein Historiker beschreibt die Migration in und nach Sachsen im 19. Jahrhundert (Zusammenfassung)
Darstellung
Ein Historiker beschreibt die Migration in und nach Sachsen im 19. Jahrhundert (Zusammenfassung)
Die Einwanderer, die im 19. Jahrhundert nach Sachsen kamen, zogen sowohl in die größeren Städte als auch auf die Dörfer, und es kamen Männer ebenso wie Frauen. In die Dörfer zogen vor allem Handwerker sowie Dienstboten und -mägde aus der näheren Umgebung. Die Städte zogen auch Menschen von weiter weg an. An der Forstakademie Tharandt oder der Bergakademie Freiberg lernten Studenten aus ganz Europa. Aber auch Leipzig als blühende Messe- und Handelsstadt, Dresden als Residenz- und Kulturstadt sowie Chemnitz als Industriestadt waren für Weitgereiste besonders anziehend. [...]
In den sächsischen Dörfern ließen sich vor allem Menschen aus Nachbarländern wie Preußen und Böhmen nieder. Die Forschung nennt dies kleinräumige Migration. Auf diese Weise kamen vor allem Handwerker wie z. B. Schuhmacher, Weber und Bäcker nach Sachsen, aber auch Händler. Viele Einwanderer waren auch Landarbeiterinnen und Landarbeiter. Sie waren während des 19. Jahrhunderts gefragte Arbeitskräfte, denn auf dem Land fehlten Arbeiter, weil die Industrialisierung viele Menschen in die Städte gezogen hatte.
Die Zuwanderer des 19. Jahrhunderts waren in Sachsen als Arbeitskräfte überaus willkommen, denn die Wirtschaft boomte. Überall fehlten Arbeitskräfte: in der Industrie, beim Bau der Eisenbahn und in der Landwirtschaft.
Darstellung
Warum brauchte Sachsen Arbeitskräfte?
Darstellung
Warum brauchte Sachsen Arbeitskräfte?
Hinweis: Der Text ist ein Ausschnitt aus einem Interview der 'tageszeitung' mit der Historikerin Ira Spieker
Ähnlich wie mit „Gastarbeiter*innen“ in Deutschland in den 1960er Jahren wurden im 19. Jahrhundert viele Arbeiter*innen aus dem Ausland nach Sachsen abgeworben. Warum?
Das hat mit der sogenannten Leutenot in der Landwirtschaft zu tun. Im Jahr 1832 änderte sich für viele Menschen in Sachsen der rechtliche Status. Sie bekamen ihre persönliche Freiheit und gehörten nicht länger zu einer Grundherrschaft oder einer bestimmten Gutsfamilie. Dadurch konnten sie sich von Dienstleistungen freikaufen und ihr eigenes Land bewirtschaften. Die zunehmende Industrialisierung schuf außerdem vermeintlich attraktivere Arbeitsmöglichkeiten mit besserer Bezahlung. Für Arbeitskräfte war es schlicht nicht mehr lukrativ, weiterhin in der Landwirtschaft zu arbeiten, und es entstand ein Mangel an landwirtschaftlichen Kräften.
Und was hatte es mit der Landflucht auf sich?
In dieser Zeit wanderten viele Menschen vom Land in die Städte. In Sachsen gab es aber nicht so große Ländereien wie beispielsweise in Preußen. Dort benötigten die Großgrundbesitzer sehr viele Arbeitskräfte und beschäftigten mehr Wanderarbeiter. Das Erzgebirge und die Oberlausitz waren arme Regionen mit Haus- und Textilindustrie, die im 19. Jahrhundert große Einbrüche erlitten. Viele Menschen aus Sachsen wollten daher nach Amerika auswandern, zum Teil halbe Dörfer. Ihre Anträge wurden jedoch häufig abgelehnt, weil sie völlig mittellos waren.
Aufgabe
- Fasse die sächsischen Migrationsbewegungen im 19. Jahrhundert zusammen. Nutze dafür die Tabelle unten.
Trage die
- Regionen ein, aus der die Migranten einwanderten sowie
- Pull-Faktoren, die die jeweilige Region anziehend machten. - Erläutere in eigenen Worten, dass Sachsen im 19. Jahrhundert sowohl Ziel von Zuwanderern als auch Herkunftsgebiet von Auswanderern war, z. B. der Texas-Wends aus Element 3, Reiter B.
2.3 Migration in Sachsen seit 1990
Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 begann die größte deutsche Migrationswelle der letzten 50 Jahre. Millionen von Menschen machten sich innerhalb des neuen größeren Deutschland auf den Weg, um an einem anderen Ort ein neues Leben zu beginnen. Diesmal aber war Sachsen nicht Ziel-, sondern Herkunftsregion vieler dieser Migranten. Das Ziel waren die mittleren und größeren Städte Westdeutschlands, in denen es etwas gab, das Ende des 20. Jahrhunderts im Ostteil Deutschlands kaum vorhanden war: Arbeitsplätze und das Versprechen einer besseren Zukunft.
Zur gleichen Zeit gab es auch Migranten, die den Weg von West- nach Ostdeutschland einschlugen. Nur waren diese lange Zeit viel weniger: Bis 2017 wanderten jedes Jahr mehr Menschen vom Ost- in den Westteil Deutschlands. Westdeutsche Migranten zogen im Ostteil Deutschlands vor allem in die städtischen Zentren, also nach Leipzig, Dresden oder Potsdam.
„Migration verändert.“ – Die Migration in Deutschland nach 1990 hat Deutschland sehr verändert. In Westdeutschland war diese Veränderung nicht so schnell spürbar. Hier war ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung seit Jahrzehnten normal. Aber Ostdeutschland veränderte sich stark. Diese Veränderung ist aber in einem Land wie Sachsen vielgestaltig: Dresden und Leipzig sind mittlerweile Migrationsmagneten und haben heute eine größere Bevölkerung als 1990 (vor allem durch Zuwanderung). Der ländliche Raum verliert jedoch nach wie vor Bevölkerung durch Migration (in die Städte und nach Westdeutschland).
Darstellung
Folgen von Migration: Kinder, Frauen und die Bevölkerungsentwicklung
Darstellung
Folgen von Migration: Kinder, Frauen und die Bevölkerungsentwicklung
In allen ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) zusammen lag die Bevölkerung 1991 bei 14,5 Millionen, 2019 bei 12,5 Millionen. Sachsen hatte 1990 eine Bevölkerung von ca. 4,8 Millionen Menschen, 2019 waren es etwa 4,07 Millionen.
Dieser starke Bevölkerungsrückgang hat verschiedene Ursachen und die Abwanderung ist nur eine von ihnen. Ein weiterer Grund ist der Geburtenrückgang, der in Ostdeutschland kurz nach der Wende einsetzte. In einer Zeit niedriger Geburtenrate schrumpft die Bevölkerung, weil pro Jahr mehr Menschen sterben als Menschen geboren werden. Diese Situation hält in vielen ostdeutschen Regionen bis heute an.
Die Gründe dafür liegen teilweise in der Abwanderung. Es waren nämlich überdurchschnittlich viele jüngere Menschen und überdurchschnittlich viele Frauen, die sich nach 1990 zur Migration in den Westteil Deutschlands entschlossen. Dadurch mangelte es den ostdeutschen Gesellschaften genau an jenen Menschen, die sie für ein Aufrechterhalten oder Normalisieren der Geburtenraten gebraucht hätten: junge Frauen.
Quelle
Statistiken zur Migration in Deutschland nach 1990
Quelle
Statistiken zur Migration in Deutschland nach 1990
Über diesen Link findet man eine grafisch und inhaltlich sehr gute Zusammenstellung der statistischen Daten zur deutschen Nachwendemigration.
Aufgabe
Die Zusammenstellung in der Quelle (Element 16) beginnt mit einer interaktiven Karte zur innerdeutschen Migration zwischen 1992 und 2017. Die Karte ist ungewöhnlich gestaltet. Mach dich also zunächst mit ihrer Darstellungsart vertraut:
- Was bedeuten die gelben Punkte, was die blauen?
- Woran erkennt man Zuzugs- und Wegzugsregionen?
Formuliere drei Erkenntnisse über die deutsche Binnenmigration, die du aus der Karte ableiten kannst.
Das Flüchtlingsjahr 2015
Das Jahr 2015 ist ebenfalls ein Meilenstein in der deutschen
Migrationsgeschichte. In diesem Jahr erreichte knapp eine Million Menschen Deutschland. Sie wollten Asyl und Schutz vor Krieg und
Verfolgung zu erhalten. Die meisten dieser Menschen waren Flüchtlinge
aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und Afghanistan. Obwohl ein Großteil
dieser Menschen in Bayern die deutsche Grenze überschritt, wurden sie
nach ihrer Ankunft auf alle deutschen Bundesländer verteilt. So kam
auch eine große Gruppe Geflüchteter nach Sachsen. Das hätte in einem
seit Jahrzehnten von Abwanderung betroffenem Land eine gute Nachricht
sein können. Aber ganz so leicht ist es bei massenhaften Migrationsereignissen nicht. Die meisten der Geflüchteten hatten
nicht direkt nach Sachsen gewollt, sondern Schutz, Sicherheit und neue Lebenschancen gesucht. Und die einheimische sächsische Gesellschaft hatte nicht direkt
nach Zuwanderern gesucht, sondern nach einer Lösung ihrer eigenen
Probleme. Konnten Geflüchtete aus Syrien Teil dieser Lösung sein? Oder
waren sie nur ein neues Problem?
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Was bedeutet Integration?
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Was bedeutet Integration?
Die Frage nach der Integration stellt sich immer dann, wenn Menschen einer Gruppe in eine andere (größere) Gruppe aufgenommen werden sollen. Integration meint ja eigentlich genau das: eine Aufnahme irgendwo oder eine Einbeziehung in irgendetwas. Bei menschlichen Gesellschaften ist es damit nicht immer ganz so einfach, weil Menschen sich mitunter tiefgreifend ändern oder Neues erwerben müssen, wenn sie sich integrieren. Manchen Menschen macht das gar keine Schwierigkeiten, andere tun sich eher schwer.
Das Ziel von Integration besteht, sehr kurz zusammengefasst, darin, dass alle Menschen in einer Gesellschaft ohne ständige grundlegende Konflikte miteinander auskommen. Wenn Integration gelingen soll, sind daran immer beide Seiten beteiligt: die Menschen, die sich integrieren wollen und sollen und diejenigen aus der bestehenden Gesellschaft, die sie aufnehmen und ihnen helfen (sollten). In Deutschland gibt es für Integration vielfache Gesetze und Hilfen.
Bei Integration geht es also um das Beseitigen von Schwierigkeiten, um die Erhöhung von Teilhabe und die Erweiterung von Lebenschancen. Daran zu arbeiten lohnt sich immer und bei jedem.
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Braucht Sachsen wieder Zuwanderung? Ein Zeitungsartikel
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Braucht Sachsen wieder Zuwanderung? Ein Zeitungsartikel
Hinweis: Michael Kretschmer ist seit 2017 Ministerpräsident des Freistaats Sachsen.
Michael Kretschmer ist in diesen Tagen viel unterwegs. „Um zuzuhören“, wie er sagt, „und, um daraus Politik zu gestalten.“ Diesmal ist er beim Industrieverein Sachsen 1828, der die Kampagne „Chemnitz ist weder grau noch braun“ mit initiiert hat. Dort im „Chemnitzer Hof“ muss er am vergangenen Freitagabend niemanden überzeugen, dass ausländische Studenten und Fachkräfte das wirtschaftliche Lebenselixier für die Wissenschaftsstadt Chemnitz und das Land Sachsen sind. [...]
Kretschmer spricht vor den rund 60 Wirtschaftsvertretern meist frei. Ab und an scherzt er, während nur ein paar Hundert Meter entfernt die rechtspopulistische Vereinigung Pro Chemnitz gemeinsam mit geschätzt bis zu 2000 Demonstranten erneut ihren Hass und ihre Wut auf die Flüchtlingspolitik auf die Straßen trägt. Etwa 400 Menschen protestieren dagegen zeitgleich. „Wir brauchen Zuwanderung“, sagt Kretschmer. „Weil die Jahrgänge, die bei uns jetzt in Rente gehen, doppelt so groß sind wie die, die auf den Arbeitsmarkt nachrücken.“
Kretschmer ist Christdemokrat. Asyl verbindet er mit Nächstenliebe,
die an keine Voraussetzung und keine Erwartungen gebunden ist – außer
dass sich diese Menschen „vernünftig bei uns verhalten“. Das neue
Zuwanderungsgesetz, das die Große Koalition in Berlin auf den Weg
bringen will und auf das er stark setzt, ist für ihn exakt das
Gegenteil: „Das ist egoistisch. Da geht es um genau die Menschen, die
wir herholen wollen. Aber das ist kein Automatismus, dass die Leute dann
auch nach Sachsen kommen werden“, sagt er. „Wir müssen jetzt aktiv im
Ausland um diese Fachkräfte werben.“
Aufgabe
- Nenne die Ursachen für die seit 1990 sinkende Bevölkerungszahl in Sachsen.
- Erkläre die sich daraus für die sächsische Gesellschaft ergebenden Probleme.
- Vergleiche die Situation Sachsens heute mit der Situation Sachsens Mitte des 19. Jahrhunderts. Finde Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
- „Migration bedeutet Veränderung.“
Diskutiere diesen Satz in deiner Lerngruppe: Ist er im heutigen Sachsen eher bedrohlich oder hoffnungsvoll zu verstehen? Gehe dabei auch auf unterschiedliche Formen von Migration ein.