1 Krieg – Revolution – Neuanfang

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Urheber: Towfiqu barbhuiya

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PD

Revolution! Aber was kommt danach?

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In Deutschland und Russland brachte das Kriegsende riesige Veränderungen. In beiden Ländern brachen Revolutionen aus und das ganze alte System stürzte ein. Die alten Herrscher verloren ihre Macht, die alten Regeln und Gesetze galten nicht mehr. Andere Menschen kamen an die Macht und begannen, das Land nach ihren Ideen und Vorstellungen umzubauen.

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1.1 Zwei Revolution, verschiedene Ideen

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Lenin (1870-1924) making a speech in the Red Square at the unveiling of a temporary monument to Stepaz Razin
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Urheber: Goldshtein G

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lenin.WWI.JPG

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W. I. Lenin, Anführer der russischen Revolution bei einer Ansprache, 1919

In Deutschland und Russland gab es Revolutionen. In beiden Ländern wollten viele Arbeiter und Soldaten, dass der Krieg endlich aufhören sollte. In beiden Ländern gab es aber auch die verbreitete Vorstellung, dass die alte Welt – die Monarchien der Zaren und Kaiser – ungerecht und überholt war und beseitigt werden sollte. Die Menschen, die in Russland und Deutschland Befehle verweigerten, demonstrierten und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, wollten also ganz unterschiedliche Dinge: mehr Lohn/Sold, eine gerechtere Gesellschaft, politische Macht oder einfach ein besseres Leben im Frieden. Die Anführer und Wortführer in Russland und Deutschland hatten oft ganz unterschiedliche Vorstellungen, was nach der Revolution kommen sollte. In Russland waren diese Anführer Kommunisten, in Deutschland setzten sich die Sozialdemokraten durch.

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Merkkasten

Sozialdemokratie, Sozialismus, Kommunismus

Was ist Sozialismus? Über diese Frage sind und waren sich die Sozialisten oft selbst nicht einig. Deshalb ist es nicht leicht zu sagen, was Sozialismus eigentlich ist.

Worüber sich Sozialisten einig waren:

  • Die bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist ungerecht.
  • Sie ist ungerecht, weil sie auf der Ausbeutung der Mehrheit der arbeitenden Menschen durch eine Minderheit beruht.
  • Diese Minderheit besteht aus den Besitzern der Produktionsmittel (Fabriken, Maschinen, aber auch Böden und Grundstücke), den Kapitalisten.
  • Die Mehrheit sind die, die den gesellschaftlichen Wohlstand erarbeiten (also v. a. Arbeiter, Bauern, Angestellte). Die arbeitenden Menschen bekommen aber von diesem Wohlstand viel zu wenig.
  • Das Ziel einer sozialistischen Politik ist eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der alle arbeitenden Menschen die Produktionsmittel gemeinsam besitzen. Damit kann die Ausbeutung beendet werden.

Worüber Sozialisten stritten:

  • Ist es richtig, für die Verwirklichung des Sozialismus Gewalt anzuwenden, oder sollte eine sozialistische Gesellschaft nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden?
  • Kann die bestehende Ordnung durch politische Maßnahmen und Reformen verbessert werden, oder muss sie in einer Revolution gestürzt werden?
  • Können die Ziele des Sozialismus in einer Demokratie verwirklicht werden, oder braucht es dafür eine Herrschaft der Arbeiter, die ihre Gegner (z. B. Kapitalisten) unterdrückt? Diese Herrschaft nannten Karl Marx und Friedrich Engels die 'Diktatur des Proletariats'.

Die Vertreter der gemäßigten Position (keine Gewalt, Reformen, Demokratie) bestimmten die Entwicklung der Sozialdemokratie. Die radikale Gegenposition prägte den Kommunismus.

Lukas Epperlein

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Über diesen Link findest du einen kurzen Erklärfilm in der ARD-Mediathek, in dem die Unterschiede zwischen Sozialismus, Kommunismus und Bolschewismus erklärt werden.

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Quelle

Lenin fordert eine neue Gesellschaft

Hinweis: Die folgenden Forderungen stammen aus den 'Aprilthesen' des russischen Revolutionsführers W. I. Lenin. In diesen schrieb er schon im April 1917, also noch vor der erfolgten Revolution, Folgendes auf. 

Übergang der Macht in die Hände des Proletariats und der sich ihm anschließenden ärmsten Teile der Bauernschaft. [...]

Keine parlamentarische Republik [...], sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben.

Abschaffung der Polizei, der Armee, der Beamtenschaft. [...]

Nationalisierung des gesamten Bodens im Lande; die Verfügungsgewalt über den Boden liegt in den Händen der örtlichen Sowjets der Landarbeiter- und Bauerndeputierten. [...]

Proletariat: die Arbeiterschaft
Sowjets, Deputierte:
Sowjet ist russisch für 'Rat', in solchen Räten sollten von den Arbeitern und Bauern ernannte 'Deputierte' (Vertreter, Gesandte) die Entscheidungen treffen.
Nationalisierung:
Verstaatlichung, aus Privateigentum wird Staatseigentum

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Quelle

Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert bei seiner Wahl zum Reichspräsidenten über die neue Gesellschaft

Ich gelobe, dass ich die Verfassung der Deutschen Republik getreulich beachten und schützen werde. Ich gelobe und werde als der Beauftragte des ganzen deutschen Volkes handeln, nicht als Vormann einer einzigen Partei. [...]
Freiheit und Recht sind Zwillingsschwestern. Die Freiheit kann sich nur in fester staatlicher Ordnung gestalten. Sie zu schützen und wiederherzustellen, wo sie angetastet wird, das ist das erste Gebot derer, die die Freiheit lieben. Jede Gewaltherrschaft, von wem sie auch komme, werden wir bekämpfen bis zum Äußersten.
Niemand soll in den Verband der Deutschen Republik gezwungen werden, aber es soll auch niemand mit Gewalt von ihr getrennt werden, den es zu ihr zieht und drängt. Nur auf das freie Selbstbestimmungsrecht wollen wir unseren Staat gründen, nach innen und außen. Wir können aber um des Rechts willen nicht dulden, dass man unseren Brüdern die Freiheit der Wahl raubt.
Die Freiheit aller Deutschen zu schützen, mit dem äußersten Aufgebot von Kraft und Hingabe, dessen ich fähig bin, das ist der Schwur, den ich in dieser Stunde in die Hände der Nationalversammlung lege. Den Frieden zu erringen, der der deutschen Nation das Selbstbestimmungsrecht sichert, die Verfassung auszubauen und zu benützen, die allen deutschen Männern und Frauen die politische Gleichberechtigung unbedingt verbürgt, dem deutschen Volke Arbeit und Brot zu schaffen, sein ganzes Wirtschaftsleben so zu gestalten, dass die Freiheit nicht Bettlerfreiheit, sondern Kulturfreiheit werde, das sei unser Streben und Ziel.

Aus: G. Haschke, N. Tönnies, Friedrich Ebert, Hamburg 1961, S. 128 ff.

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Quelle

Forderungen der Sozialdemokraten vor dem Ersten Weltkrieg

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts oder der Abstammung. Von diesen Anschauungen ausgehend bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art von Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse.

Privilegien: Vorrechte oder Vorteile Einzelner oder einer Gruppe von Menschen 
Klassenherrschaft: Als eine Klasse bezeichnete man im 19. und 20. Jahrhundert eine Gruppe von Menschen mit wirtschaftlichen Macht und einer davon abhängenden Lebensweise. Nach der Lehre von Karl Marx standen sich zwei Klassen gegenüber: Die Arbeiter, die ausgebeutet und unterdrückt wurden und in den Fabriken den Reichtum schufen. Und auf der anderen Seite die Fabrik- und Bankenbesitzer, reichen Kaufleute und Besitzer von Rohstoffen. Diese verfügten über die wirtschaftliche und damit auch sehr stark über die politische Macht.

Aus dem Erfurter Programm der SPD, zitiert nach: Detlef Lehnert, Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 1848–1983, Frankfurt am Main 1983, S. 83 f.

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Aufgabe – Sozialdemokraten und Kommunisten

  1. Beschreibe drei große Unterschiede zwischen den Überzeugungen und Zielen von Sozialdemokraten und Kommunisten.
  2. Versetze dich in einen russischen Bauern während der kommunistischen Revolution 1917. Du kennst die Ziele und Überzeugungen der Kommunisten. Siehst du der Zukunft mit Hoffnung oder Sorge entgegen? Begründe deine Antwort.

1.2 Der Krieg nach dem Krieg

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Urheber: Anonymous; Own scan by Vizu.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%D0%97%D0%B0_%D0%B5%D0%B4%D0%B8%D0%BD%D1%83%D1%8E_%D0%A0%D0%BE%D1%81%D1%81%D1%96%D1%8E.jpg

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„Für ein geeinigtes Russland!“ Im russischen Bürgerkrieg nannte man die Kommunisten 'die Roten' und die Anhänger des Zaren 'die Weißen'. Auf diesem zarentreuen Propagandaplakat von 1919 kämpft ein weißer Ritter gegen einen roten Drachen.

Die neuen Staaten in Russland und Deutschland konnten sich nach den Revolutionen nicht ruhig und sicher entwickeln. In beiden Ländern folgten auf die Revolution bewaffnete Kämpfe, in denen die Sieger der Revolution sich gegen ihre Gegner behaupten mussten. In Deutschland wurde zunächst der kommunistische Spartakusaufstand blutig niedergeschlagen. In Russland kämpften die Kommunisten in einem Bürgerkrieg gegen die Anhänger der alten Zarenherrschaft. Die 'roten' Kommunisten und die 'weißen' Zarenanhänger kämpften mehrere Jahre um die Vorherrschaft im Land. Dabei starben mehrere Millionen Menschen bei Kämpfen, an Krankheiten und Hunger. 

Geschätzte Opferzahlen durch den russischen Bürgerkrieg 1917–1923
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Ursachegeschätzte Tote
bei Kämpfen gestorben300.000
an Krankheit gestorben450.000
verhungert2–5 Millionen
Angaben 1 und 2 nach: B. Urlanis, Wars and Population, Moscow (Progress publishers) 1971; Angabe 3 nach: Norman Lowe, Mastering Twentieth-Century Russian History, Palgrave 2002, S. 155 und Bertrand M. Patenaude, The Big Show in Bololand. The American Relief Expedition to Soviet Russia in the Famine of 1921, Stanford University Press, 2002. S. 197.
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Portrait von Rosa Luxemburg.
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Urheber: unbekannt

https://commons.wikimedia.org/wiki/Rosa_Luxemburg#/media/File:Rosa_Luxemburg.jpg

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Rosa Luxemburg (1871–1919) war Politikerin und kämpfte für die Rechte der Arbeiter. Sie war Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die KPD rief mit zum Spartakusaufstand auf. Als dieser niedergeschlagen wurde, wurde Luxemburg am 15.1.1919 von Soldaten ermordet.

Karl Liebknecht (1871-1919)
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Urheber: Library of Congress

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KLiebknecht.jpg

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Genauso erging es dem anderen KPD-Gründer Karl Liebknecht (1871–1919). Die Morde wurden von Soldatengruppen verübt, die die SPD-Regierung mit der Niederschlagung des Aufstands beauftragt hatte. Deshalb machten viele Arbeiter und Kommunisten die SPD für die Ermordung der beiden Politiker mitverantwortlich.

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Darstellung

Gegenbeispiel: ein unblutiger Machtwechsel

The Fall of the Berlin Wall, 1989. The photo shows a part of a public photo documentation wall at the Brandenburg Gate, Berlin.
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Urheber: Unknown photographer, Reproduction by Lear 21 at English Wikipedia.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:West_and_East_Germans_at_the_Brandenburg_Gate_in_1989.jpg

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Der Fall der Mauer, 1989

Nicht alle staatlichen Machtwechsel spielen sich unter so gewaltsamen Umständen ab, wie die oben beschriebenen. Die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 ist ein gutes Beispiel für einen unblutigen Machtwechsel von revolutionärem Ausmaß. Nach lange andauernden Protesten und dem Fall der Mauer im November 1989 trat hier ein sogenannter 'Runder Tisch' aus Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen und Parteien zusammen. Er sollte die als unrechtmäßig empfundene Regierung beraten und überprüfen. In gemeinsamer Abstimmung wurde die Auflösung der unterdrückerischen Staatssicherheit (MfS) und demokratische Neuwahlen beschlossen. Eine im März 1990 demokratisch gewählte neue Regierung handelte mit der Regierung der BRD dann den Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung aus. Diese fand dann am 3.10.1990 statt, indem die neuen Bundesländer der BRD beitraten. Der Tag ist bis heute deutscher Nationalfeiertag.

Lukas Epperlein

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Aufgabe – Schwierige Anfänge

  1. Sieh dir die Galerie oben an und recherchiere selbstständig zu der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Erkläre dann die Umstände ihrer Ermordung: Wer waren die Mörder und warum wollten sie Luxemburg und Liebknecht töten? Und warum wurde der regierenden SPD eine Mitschuld an der Ermordung gegeben?
  2. Vergleiche den Machtübergang in Deutschland 1919 mit dem in Ostdeutschland 1989/90 (Element 14).
  3. „Es ist sehr schwer, einen Staat auf Unrecht und Gewalt aufzubauen.“ Überprüfe diesen Satz auf seine Richtigkeit. Welche Probleme könnten einem Staat entstehen? Begründe deine Antwort mit Bezug auf das Material oben.

1.3 Zwei neue Staaten

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Schließlich wurden dann doch zwei neue Staaten in Deutschland und Russland gegründet: 1919 die Weimarer Republik und 1922 die Sowjetunion. Beide Staaten wollten ganz anders sein als ihre Vorgänger, die monarchistischen Großreiche. Und beide Staaten behaupteten, sich allein am Willen der in ihnen lebenden Menschen zu orientieren. Wie sie das machten, dabei gab es aber große Unterschiede.

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Friedrich Ebert (links) und W. I. Lenin (rechts)
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Quelle

Der SPD-Politiker Friedrich Ebert zur Eröffnung der Nationalversammlung in Weimar

Meine Damen und Herren,
die Reichsregierung begrüßt durch mich die Verfassungsgebende Versammlung der deutschen Nation. Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum [ersten Mal] gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. [...] In der Revolution erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusammenbrechende Gewaltherrschaft. Sobald das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes gesichert ist, kehrt es zurück auf den Weg der Gesetzesmäßigkeit [...] Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist es für immer vorbei. Wir verwehren niemandem eine sentimentale Erinnerungsfeier. Aber so gewiss diese Nationalversammlung eine große republikanische Mehrheit hat, so gewiss sind die alten gottgegebenen Abhängigkeiten für immer beseitigt. Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst. Diese Freiheit ist der einzige Trost, der dem deutschen Volke geblieben ist, der einzige Halt, an dem es aus dem Blutsumpf des Krieges und der Niederlage sich wieder herausarbeiten kann.

sentimentale Erinnerungsfeier: sehr gefühlsbetonte Feier

Zitiert nach: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hg.), Die Weimarer Republik. Das schwere Erbe, Bd. 1: 1918–1923, München 2001, S. 129 f.

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Quelle

Lenin fordert eine neue Gesellschaft, indem die Bolschewiki die Macht ergreifen

Nachdem jetzt die Bolschewiki in beiden hauptstädtischen Arbeiter- und Soldatendeputiertenräten die Mehrheit erhalten haben, können und müssen sie die Staatsmacht in ihre Hände nehmen.

Sie können es, denn die aktive Mehrheit der revolutionären Elemente der Bevölkerung beider Hauptstädte reicht aus, um die Massen mitzureißen, den Widerstand des Gegners zu überwinden, ihn selbst zu schlagen, die Macht zu erobern und zu halten. Denn wenn sie sofort einen demokratischen Frieden vorschlagen, das Land sofort den Bauern geben, die von Kerenski beschnittenen oder zerschlagenen demokratischen Einrichtungen und Freiheiten wiederherstellen, werden die Bolschewiki eine Regierung bilden, die niemand stürzen kann.

Die Mehrheit des Volkes ist für uns. [...]

Die Demokratische Beratung vertritt nicht die Mehrheit des revolutionären Volkes, sondern nur die kompromisslerischen, kleinbürgerlichen Oberschichten. Man darf sich nicht durch Wahlziffern irreführen lassen. Nicht auf die Wahlen kommt es an: [...] Man vergleiche die Moskauer Wahlen und den Moskauer Streik vom 12. August: das sind die objektiven Daten über die Mehrheit der revolutionären Elemente, die die Massen führen.

Die Demokratische Beratung betrügt die Bauern, gibt ihnen weder Frieden noch Land.

Die bolschewistische Regierung allein wird die Bauern zufriedenstellen.



Deputiertenräte: Deputierte sind Abgeordnete, z. B. in Parlamenten. Deputiertenräte waren Versammlungen von Soldaten und Arbeitern. Sie bildeten sich am Ende des Ersten Weltkrieg, um das Vorgehen in der Revolution zu beraten und abzustimmen.
Kerenski: Alexander Kerenski (1881–1970) war ein russischer Politiker. Nach dem Sturz der zaristischen Herrschaft in Russland führte er bis zur Machtübernahme der kommunistischen Bolschewiki im Jahr 1917 eine Übergangsregierung.
kompromisslerisch: Bei einem Kompromiss legt man einen Streit bei, indem man eine Lösung sucht, bei der jede Seite Zugeständnisse macht.
kleinbürgerlich:
Als kleinbürgerlich bezeichnete man Angehörige einer gesellschaftlichen Schicht, die nicht abhängig beschäftigte Arbeiter und auch keine reichen Fabrik- oder Bankenbesitzer waren. Dazu zählten Handwerker, kleine Händler und Kaufleute, Staatsbeamte usw. Mit 'kleinbürgerlich' wird auch eine bestimmte Haltung der Unterwürfigkeit, Ängstlichkeit und Charakterschwäche bezeichnet und kritisiert.
objektiv: auf unveränderbaren Fakten beruhend; nicht von den Ansichten und Gefühlen eines Menschen abhängig

Wladimir I. Lenin: Die Bolschewiki müssen die Macht ergreifen (Brief an das Zentralkomitee, an das Petrograder und das Moskauer Komitee der SDAPR), 25.-27.9.1917, in: Lenins Sämtliche Werke, Bd. 21, Wien/Berlin 1931, S. 243–245.

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Quelle

Der Sozialdemokrat Max Cohen über die Vorstellung der Sozialdemokraten von einer neuen Gesellschaft

Der Volkswille kann nur festgestellt werden durch die Nationalversammlung, zu der jeder Deutsche mit gleichem Rechte wählen kann. Die Arbeiter- und Soldatenräte drücken immer nur einen Teilwillen aus, niemals aber den Willen des ganzen Volkes. Diesen festzustellen, darauf kommt es an [...]. 
Es sollte eigentlich für jeden Sozialisten selbstverständlich sein, und das war es auch bisher, dass der Volkswille so schnell wie möglich zu Geltung kommt [...]. Erst den Bolschewisten war es vorbehalten, hierin eine Änderung eintreten zu lassen. Was hat der Bolschewismus, die Diktatur des Proletariats, in Russland erreicht? Nach meiner Überzeugung nichts, was zur Förderung des Sozialismus, sondern nur, was dazu dienen kann, den Sozialismus auf Jahrzehnte hinaus zu diskreditieren. Russland friert und hungert [...] Man kann eben Sozialismus durch Gewalt und Dekrete nicht einführen; das hat uns das russische Beispiel gezeigt. Sozialismus ist ein organischer Entwicklungs- und Umbildungsprozess, bei dem neue Wirtschaftsformen neben werdenden und auch alten Formen zusammen existieren werden [...]. Es wird nicht mehr Sozialismus durchführbar sein, als die Mehrheit des Volkes will. 

Dokumente der deutschen Politik und Geschichte, Bd. II, S. 423 f.

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Aufgabe – Was ist der Wille des Volks?

Friedrich Ebert (Element 18) und Lenin (Element 19) hatten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie aus dem Willen der Bevölkerung Politik werden sollte. 

Beschreibe diese Vorstellungen und hebe vor allem die Unterschiede hervor.

1.4 Was waren das für Staaten?

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Die neuen Staaten in Deutschland und Russland nannten sich beide Republik: Weimarer Republik und Union der sozialistischen Sowjetrepubliken (kurz = Sowjetunion). Dennoch funktionierten sie auf sehr unterschiedliche Arten. Wenn man etwas darüber wissen will, wie ein Staat funktioniert, wer die Macht hat und wie viel die Bürger mitentscheiden dürfen, schaut man am besten in die Verfassung dieses Staates. 

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Verfassung der Weimarer Republik Verfassung Sowjetunion
Verfassung Weimarer Republik
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© Digitale Lernwelten

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Schaubild Verfassung SU
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ArrcBYNCSA
Verfassung der Weimarer Republik Verfassung Sowjetunion
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Methode

Verfassungsschaubilder auswerten

Verfassungsschaubilder erzählen eine Geschichte. Durch diese vereinfachte Geschichte sollen die vielen komplizierten Regeln schnell verständlich dargestellt werden. Dazu werden Personen und Personengruppen mit Linien oder Pfeilen miteinander verbunden. Diese Linien oder Pfeile zeigen Rechte und Pflichten bei der Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten. Der Ausgangspunkt der Pfeile oder Linien stellt immer den Ursprung der politischen Macht in einem Gemeinwesen dar. Der Erzähler ordnet denjenigen Personen, die er für besonders mächtig oder wichtig hält, die Ausgangspunkte der meisten Pfeile/Linien zu.

Vor- und Nachteile von Verfassungsschaubildern gegenüber Texten:

  • Vorteil: Sie sind kürzer und übersichtlicher als Texte.
  • Nachteil: Schaubilder vereinfachen sehr und lassen damit viele Informationen weg.

Auswertung:

  • Ermittle die im Schaubild vorkommenden Personen und Personengruppen.
  • Finde heraus, von welcher Stelle die Pfeile und Linien ausgehen.
  • Ordne den Personen und Personengruppen Aufgaben und Zuständigkeiten zu.

Benjamin Bräuer, Marcus Ventzke, Florian Sochatzy, Institut für digitales Lernen.

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Aufgabe – Analyse von Verfassungsschaubildern

  1. Beschreibe die beiden oben gezeigten Schaubilder allgemein: Was wird hier abgebildet, welche Informationen lassen sich dem Schaubild entnehmen, welche Positionen und Abläufe werden dargestellt?
  2. Vergleiche die beiden Schaubilder. Finde Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
  3. Leite aus den Schaubildern jeweils zwei begründete Aussagen über die Verfassung der Weimarer Republik und der Sowjetunion ab. Z. B.:
    1. Die Bevölkerung in der Sowjetunion hatte viel/wenig Macht, weil ...
    2. Der Reichspräsident war sehr wichtig/unwichtig, denn ...
    3. Die Weimarer Verfassung war sehr/kaum demokratisch, weil ...
  4. Beide Staaten beanspruchten für sich, den Willen der Bevölkerung umzusetzen. Beurteile ihre Verfassungen nach diesem Anspruch.
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Ich behaupte, die sowjetische Verfassung wurde nie genauso umgesetzt, wie sie aufgeschrieben wurde. Denn neben den in der Verfassung erwähnten Räten, Exekutivkommitees und Wahlberechtigten gab es noch eine Gruppe in der Sowjetunion, die Einfluss auf die Politik hatte: die kommunistische Partei. Unter diesem Text findest du ein Bild mit Schieberegler. Wenn du den Schieberegler zur Seite ziehst, findest du eine Darstellung, die ich mir mit unserer Grafikerin ausgedacht habe und die meiner Meinung nach die Realität in der Sowjetunion besser beschreibt.

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Aufgabe – Zwei Sichtweisen

  1. Beschreibe das zweite Schaubild insbesondere in Hinblick auf die Veränderung zur ersten.
  2. Vorausgesetzt, meine Behauptung ist wahr: Erkläre, wie sich die politische Situation in der Sowjetunion durch die Einflussnahme der kommunistischen Partei verändert. Beziehe dich dabei auch auf Demokratie und Machtverteilung.
  3. Bewerte unsere Darstellung des riesigen 'Parteimonsters'. Wie wirkt diese Darstellung auf dich, welche Gefühle löst sie in dir aus
  4. Welche Vorteile und Nachteile haben solche bildlichen (lustigen, unheimlichen etc.) Darstellungsformen in einem Schaubild?

4 Vertiefung: Einzelaspekte der Weimarer Verfassung

Die „demokratischste Demokratie der Welt“?
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Die Weimarer Verfassung gab erstmals in Deutschland allen Bürgerinnen und Bürgern über 20 Jahren das Wahlrecht. Alle Deutschen waren vor dem Staat und dem Gesetz gleich, die alten Adelsprivilegien des Kaiserreichs wurden abgeschafft. Die Deutschen durften in der Weimarer Republik über vieles abstimmen: Sie wählten den Reichstag. Sie wählten ihre jeweiligen Landtage, aus denen sich auf Reichsebene der Reichsrat (die Vertretung der Länder) zusammensetzte. Die Deutschen wählten das Staatsoberhaupt – den Reichspräsidenten – alle sieben Jahre direkt. Und sie hatten auch das Recht, reichsweit in Volksentscheiden direkt auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen.

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Quelle

Artikel 73 der Weimarer Verfassung – Volksentscheide

(1) Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats es bestimmt.

(2) Ein Gesetz, dessen Verkündung auf Antrag von mindestens einem Drittel des Reichstags ausgesetzt ist, ist dem Volksentscheid zu unterbreiten, wenn ein Zwanzigstel der Stimmberechtigten es beantragt.

(3) Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Er ist von der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist.

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Darstellung

Volksentscheide heute

Volksentscheide sind Formen einer direkten Demokratie. In Deutschland sieht das Grundgesetz den Volksentscheid auf Bundesebene nur bei einer Neugliederung von Bundesländern vor. Ein Beispiel: 1996 lehnte die Mehrheit der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger einen Zusammenschluss der Bundesländer Berlin und Brandenburg durch Volksentscheid ab, obwohl die Politiker dafür waren. In den Bundesländern aber gibt es bei vielen Fragen die Möglichkeit des Volksentscheids. In Bayern beschlossen die Bürger zum Beispiel ein Abfallbeseitigungsgesetz, in Baden-Württemberg kann der gesamte Landtag durch Entscheid der wahlberechtigten Bürger aufgelöst werden. Auch in den Kommunen können die Bürger bei vielen politischen Fragen durch sogenannte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide unmittelbar mitbestimmen.

Bevor es zu einem Volksentscheid kommt, kann es das sogenannte Volksbegehren geben. Dabei fordert eine bestimmte Anzahl an Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift, dass es zu einem Volksentscheid kommen soll. In Deutschland ist das Volksbegehren auf Bundesebene – wie beim Volksentscheid – auch nur bei einer Neugliederung von Bundesländern möglich.

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Aufgabe – Superdemokratisch?

  1. Formuliere den Inhalt von Quelle (Element 30) in eigenen Worten. Was musste geschehen, damit in der Weimarer Republik die Bevölkerung über ein Gesetz abstimmen konnte?
  2. Vergleiche damit die heutige Situation (Element 31), finde Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
  3. Warum wurden die Weimarer Bestimmungen zu Volksentscheiden nicht in der heutigen Bundesrepublik beibehalten? Suche nach möglichen Gründen.
Ist der Reichspräsident eine Art 'Ersatzkaiser'?
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Vor allem die Position des Reichspräsidenten stellte sich sehr bald als problematisch heraus. Er hatte sehr viele Machtbefugnisse: Er ernannte und entließ den vom Reichstag bestimmten Regierungschef, den Reichskanzler. Er war der Oberbefehlshaber der Armee. Er ernannte und entließ die Richter des höchsten Gerichts, das Reichsgericht. Er konnte auf mehreren Wegen in die Gesetzgebung eingreifen, zum Beispiel indem er reichsweite Volksentscheide zu bestimmten Gesetzen anordnete oder indem er den Notstand ausrief und danach mit Notverordnungen regierte. Notverordnungen hatten dann die gleiche Wirkung wie Gesetze. Der Reichspräsident konnte sogar Grundrechte außer Kraft setzen.

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Quelle

Artikel 25 und 48 der Weimarer Verfassung – Besondere Vollmachten des Reichspräsidenten

Artikel 25

(1) Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass.

(2) Die Neuwahl findet spätestens am sechzigsten Tage nach der Auflösung statt.

[...]

Artikel 48

(1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.

(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.

(3) Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen.

Art. 114: Schutz der persönlichen Freiheit, sie darf nur auf Grundlage von Gesetzen entzogen werden
Art. 115: Schutz der Wohnung, darf nur auf Grundlage von Gesetzen eingeschränkt werden
Art. 117: Brief und Fernsprechgeheimnis, darf nur auf Grundlage von Reichsgesetzen eingeschränkt werden
Art. 118: Meinungsfreiheit, keine Zensur
Art. 123: Demonstrationsrecht, darf nur bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingeschränkt werden
Art. 124: das Recht, Vereine zu gründen
Art. 153: Schutz des Eigentums, Enteignungen dürfen nur auf Grundlage von Gesetzen und mit Entschädigung geschehen

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Quelle

Auszug aus dem heutigen Grundgesetz

Art. 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. [...]

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

[es folgen in Artikel 2–19 die wichtigsten Grund- und Menschenrechte]

Art. 79

(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. [...]

(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

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Aufgabe – Demokratie oder Diktatur?

  1. Erstelle mithilfe dieses Tools ein Schaubild, in das du die Kompetenzen des Reichskanzlers und seine Möglichkeiten, die Politik der Weimarer Republik zu bestimmen, einträgst.
  2. Der Artikel 48 wird häufig als 'Diktaturartikel' bezeichnet. Finde dafür Gründe in der Quelle (Element 34).
  3. Eine Diktatur zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass der Machthaber keinerlei Kontrolle unterworfen ist. Trifft dies auf den Reichspräsidenten zu? Begründe deine Antwort.
  4. Das deutsche Grundgesetz von 1948 sollte auch eine Verbesserung der Weimarer Verfassung sein. Untersuche die in der Quelle (Element 35) aufgeführten Grundgesetzartikel nach folgenden Punkten:
    1. Was ist das Ziel?
    2. Was soll verhindert werden?
    3. Warum ist das eine/keine Verbesserung gegenüber der Weimarer Verfassung?