1. Die Europäische Union und ihre Grenzen

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1. Die Europäische Union und ihre Grenzen

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Wann bist du das letzte Mal außerhalb Deutschlands gewesen? Wahrscheinlich haben die meisten in deiner Klasse nicht ihr ganzes Leben ausnahmslos hier verbracht. Einige waren vermutlich mal im Ausland im Urlaub oder haben dort Freunde oder Familienangehörige besucht. Je nachdem, wo im Ausland das war, war dafür ein Reisepass notwendig. Wer einen deutschen Reisepass hat, hat übrigens mit die größte Reisefreiheit weltweit.

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In diesem Ausschnitt aus der Podcast-Folge von 'Schere Stein Politik' von der Bundeszentrale für politische Bildung unterhalten sich Lilith Jogwer und Zoe Bauer über den deutschen Reisepass und seine Vorteile.

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https://www.bpb.de/mediathek/podcasts/schere-stein-politik/539541/schere-stein-politik-der-reisepass/

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Aufgabe

Im Podcast unterhalten sich Lilith Jogwer und Zoe Bauer über Erfahrungen, die sie mit ihren deutschen Reisepässen gemacht haben. Hast du auch schon eine besondere Erfahrung bei der Ein- oder Ausreise gemacht? Erzähle davon.

Information für Lehrkräfte

Umfrage zum Reisepass

An dieser Stelle bietet sich als Einstieg in das Thema „Freizügigkeit im Schengen-Raum“ eine Umfrage in der Klasse an. Dabei soll erfragt werden:

  • wie viele schon im Ausland gewesen sind;
  • wie viele einen Reisepass besitzen;
  • wie viele davon einen deutschen Reisepass haben.
  • Falls die Zahl derjenigen mit Auslandserfahrung höher ist als die Zahl derjenigen mit Reisepass: Benennt mögliche Gründe dafür.

Bitte entscheiden Sie, ob diese Übung für Ihre Klasse geeignet ist.

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Vielleicht haben nicht alle, die schon mal im Ausland waren, einen Reisepass. Der Autor dieses Moduls hat zum Beispiel keinen; er reist mit seinem deutschen Personalausweis. Das liegt daran, dass er bisher nur in anderen Ländern der Europäischen Union (EU) gewesen ist. Dort reicht der Personalausweis aus. Auch ohne Reisepass haben Deutsche in Europa also eine große Reisefreiheit.

Ohne Probleme innerhalb Europas reisen zu können – das war allerdings nicht immer so einfach. In diesem Kapitel wirst du lernen, wie und warum die EU entstanden ist, welche Freiheiten und Werte mit ihr verbunden sind und wie es um die Freiheit von Menschen steht, die aus dem Ausland in die EU einreisen möchten.

1.1 Gemeinsame Interessen: Die Entstehung der Europäischen Union

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Eine zerstörte Kreuzung in Dresden.
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Urheber: Richard Peter, Deutsche Fotothek

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_ps_0000039_002_Kriege_%5E_Kriegsfolgen_%5E_Zerst%C3%B6rungen_-_Tr%C3%BCmmer_-_Ruin.jpg

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Dresden, Kreuzung Ammonstraße/Falkenstraße, vermutlich 1945

Zerstörte Dresdner Innenstadt, vom Rathausturm aus gesehen
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Urheber: Richard Peter, Deutsche Fotothek

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Fotothek_df_ps_0000010_Blick_vom_Rathausturm.jpg

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Dresden, Blick vom Rathausturm nach Süden (Prager Straße), 1945

Eine freie Fläche in Dresden mit den beseitigten Ruinen. Wo früher einmal Innenstadt war, ist jetzt eine freie Fläche zu sehen.
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-U0816-0010 / Löwe / CC-BY-SA 3.0

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-U0816-0010,_Dresden,_Prager_Stra%C3%9Fe.jpg

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Dresden, selber Aufnahmeort, nachdem die Trümmer weggeräumt worden waren, 1958

Ein Trümmerbeseitigungstrupp in Leipzig posiert für ein Bild im Jahr 1949.
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Urheber: Rössing, Deutsche Fotothek

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Fotothek_df_roe-neg_0001374_003_Gruppenbild_eines_Tr%C3%BCmmerbeseitigungstrupps.jpg

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Trümmerbeseitigungstrupp in Leipzig, 1949

Zerstörte französiches Stadt mit kaputtem deutschen Panzer.
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Urheber: Imperial War Museums, Public Domain

https://picryl.com/media/the-british-army-in-normandy-1944-b9537-01da39

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Ruinen und zerstörter deutscher Panzer in Argentan (Frankreich), 1944

Menschen klettern über eine zerstörte Brücke in Florenz im Jahr 1944.
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Urheber: Imperial War Museums UK, Public Domain

https://garystockbridge617.getarchive.net/amp/de/media/crossing-ruined-ponte-alle-grazia-in-florence-1944-663645

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Zivilisten klettern in Florenz (Italien) über die Ruinen der Ponte alle Grazia, die von den Deutschen zerstört wurde, 1944

Die Situation in Europa 1945 war eine völlig andere als heute. Die meisten Länder waren in den Zweiten Weltkrieg verwickelt und standen sich als erbitterte Feinde auf dem Schlachtfeld gegenüber. Zerstörung, Armut, Flucht und Vertreibung – das war vielerorts Realität. Nazi-Deutschland hatte den Krieg verloren und wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, in denen Frankreich, Großbritannien, die USA und die Sowjetunion das Sagen hatten. Die Siegermächte hatten ein berechtigtes Interesse daran, dass Deutschland nie wieder einen so schlimmen Krieg heraufbeschwören konnte. Doch wie sollte das erreicht werden?
Aus Frankreich, das jahrzehntelang mit dem Deutschen Reich verfeindet war, kam 1950 ein erstaunlicher Vorschlag dazu. Statt Abgrenzung und Feindschaft sollten Deutschland und Frankreich wirtschaftlich enger zusammenrücken, gemeinsam mit anderen europäischen Partnern.

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Aufgabe

Analysiere die Schuman-Erklärung in Element 7 mit Blick auf die Motive, die für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) angeführt werden.

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Schuman-Erklärung 1950

Auszüge aus der Rede des französischen Außenministers, Robert Schuman, in der er die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorschlägt

Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen. Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerläßlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen. Frankreich, das sich seit mehr als zwanzig Jahren zum Vorkämpfer eines Vereinten Europas macht, hat immer als wesentliches Ziel gehabt, dem Frieden zu dienen. Europa ist nicht zustande gekommen, wir haben den Krieg gehabt.

Europa läßt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, daß der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird. Das begonnene Werk muß in erster Linie Deutschland und Frankreich erfassen.

Zu diesem Zweck schlägt die französische Regierung vor, in einem begrenzten, doch entscheidenden Punkt sofort zur Tat zu schreiten.

Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht. Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern – die erste Etappe der europäischen Föderation – und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind.

Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, daß jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist. Die Schaffung dieser mächtigen Produktionsgemeinschaft, die allen Ländern offensteht, die daran teilnehmen wollen, mit dem Zweck, allen Ländern, die sie umfaßt, die notwendigen Grundstoffe für ihre industrielle Produktion zu gleichen Bedingungen zu liefern, wird die realen Fundamente zu ihrer wirtschaftlichen Vereinigung legen.

Diese Produktion wird der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden, um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen. [...]

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Jetzt geht es um die Entstehung der Europäischen Union. Sieh dir dazu die unten stehende Timeline an. Stell dir dabei vor, du wärst Regierungschefin oder Regierungschef eines fiktiven europäischen Landes. Überlege, was für oder gegen einen Beitritt zur EU spricht, und mach dir Notizen. Diese benötigst du bei der nächsten Aufgabe.

Die Entstehung der Europäischen Union

Information für Lehrkräfte

Video über Meilensteine auf dem Weg zur heutigen EU

Ergänzend zur „Timeline“ kann an hier dieses 14-minütige Video über die wichtigsten Schritte auf dem Weg zur EU in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext gezeigt werden:

Die Geschichte der Europäischen Union I Geschichte
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Würdest du als Regierungschefin oder -chef in die EU eintreten wollen? Lies dir außerdem noch die folgenden Informationen über die EU durch und bearbeite schließlich die Aufgabe.

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Wie funktioniert die EU?

Überblick über ihre wichtigsten Institutionen

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Urheber: Rat der EU

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Council_of_the_EU_and_European_Council.svg

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Der Europäische Rat besteht aus Staats- und Regierungschefs der EU. Er trifft sich mindestens viermal im Jahr, um wichtige Entscheidungen für Europa zu treffen, wie z. B. die Einführung des Euro.

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Urheber: Europäisches Parlament

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:EP_logo_CMYK_DE.svg

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Das Europäische Parlament wird alle fünf Jahre von EU-Bürgern gewählt. Diese Institution beschließt gemeinsam mit dem Rat der EU neue Gesetze. Der Rat der EU besteht aus Ministern der EU-Länder, die je nach Thema variieren. Die Mitglieder des Rates entscheiden normalerweise im Sinne ihres Landes.

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Urheber: Europäische Kommission

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Europaeische_Kommission_logo.svg?uselang=de#Lizenz

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Gesetzesvorschläge kommen von der Europäischen Kommission. Jedes EU-Land stellt eine Kommissarin oder einen Kommissar für die Kommission, die vom Parlament gewählt werden. Sie sollen unabhängig und im Interesse von ganz Europa handeln.

Die Kommission überwacht auch, ob EU-Länder die Gesetze einhalten. Bei Verstößen kann sie Strafen verhängen oder Klagen beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Dieser Gerichtshof, mit einem Richter pro EU-Land, löst Rechtsstreitigkeiten zwischen den Ländern und überwacht die Einhaltung des EU-Rechts.

Information für Lehrkräfte

Vertiefung: Wie funktioniert die EU?

Ergänzend zum „Überblick über die wichtigsten Institutionen“ kann an dieser Stelle dieses kurzes Video von Phoenix gezeigt werden:

Europa: Wie funktioniert die EU?
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Einer der Gründe Robert Schumanns für die Vereinigung Europas war die Schaffung und Sicherstellung des Friedens. 67 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs scheint sein Ziel verwirklicht zu sein - die EU erhält den Friedensnobelpreis. Spätestens seit dem Angriff russischer Truppen auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es allerdings wieder Krieg in Europa, allerdings nicht in einem EU-Land. Denn Ukraine ist kein Mitglied der EU, will es aber werden. Sie erhält aber von dieser Unterstützung, z.B. bei durch Waffenlieferungen oder die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter. Behalte dies im Kopf, wenn du die nächsten Elemente liest und dich mit der EU als Friedensgemeinschaft beschäftigst.

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Die EU als Wertegemeinschaft

Artikel 2 des EU-Vertrags benennt die wichtigsten Grundwerte

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

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Aufgabe

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Warum die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekommen hat

Auszug aus der Begründung des norwegischen Nobelkomitees

Die Union und ihre Vorgänger haben über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden.

Das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. Über 70 Jahre hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können. In den 80er-Jahren sind Griechenland, Spanien und Portugal der EU beigetreten. Die Einführung der Demokratie war Voraussetzung für ihre Mitgliedschaft. Der Fall der Berliner Mauer machte den Beitritt möglich für mehrere zentral- und osteuropäische Staaten. Dadurch wurde eine neue Ära der europäischen Geschichte eingeleitet. Die Teilung zwischen Ost und West ist in weiten Teilen beendet. Die Demokratie wurde gestärkt. Viele ethnisch bedingte Konflikte wurden gelöst. [...]

Die EU erlebt derzeit ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten und beachtliche soziale Unruhen. Das Norwegische Nobelkomitee wünscht den Blick auf das zu lenken, was es als wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens. 

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Europa zehn Jahre nach dem Nobelpreis

Die Politologin Ursula Schröder betrachtet die Lage der EU im Juni 2022

Der russische Krieg in der Ukraine hat die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt. Er zeigt uns, dass Frieden und Sicherheit in Europa nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder neu errungen werden müssen. [...] Der Krieg in Europa ist hierbei kein singuläres Ereignis, das die alte Ordnung plötzlich und unerwartet umstößt. Er wirkt eher wie ein Brandbeschleuniger für eine Neuordnung Europas und der Welt, die sich schon lange angekündigt hat. Anzeichen für eine turbulente Phase krisenhafter Umbrüche werden seit Jahren in der öffentlichen Debatte und in der Forschung verhandelt. Akute Krisen wie der Ukraine-Krieg und die steigende Anzahl an Gewaltkonflikten weltweit verbinden sich mit langsameren Umbrüchen wie dem Aufstieg populistischer und antidemokratischer politischer Strömungen und den globalen Herausforderungen des Klimawandels und der Pandemie. [...]

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Europa sich politisch neu erfinden muss, um in einer krisenhaften Welt Bestand zu haben. Noch 2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis für ihr Friedensprojekt der politischen Integration Europas nach innen. Derzeit ist die EU starken Fliehkräften unterworfen, die die politische Einheit dieses Projekts gefährden. Die lange stagnierende EU-Erweiterung unter anderem um die Staaten des Westbalkans und die Blockade zentraler politischer Vorhaben durch einige EU-Mitgliedsstaaten deuten auf eine Krise des Projekts der politischen Integration Europas hin. [...] Dieser Krieg muss ein Weckruf sein, um der notwendigen tieferen politischen Integration Europas jetzt neuen Schwung zu verleihen. Europa muss sich hierbei auf seine Stärken besinnen, auf seine politische Integration nach innen, um auch nach außen stärker und einheitlicher auftreten zu können. [...]

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Aufgabe

  1. Nenne die Gründe des norwegischen Nobelkomitees, die für die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU sprechen. Beschreibe, welches Bild der EU dort gezeichnet wird.
  2. Der Zeitstrahl oben endet mit dem Jahr 2012 und einem Erfolg für die EU. Die Geschichte der EU ist allerdings 2012 noch nicht vorbei. Diskutiert, inwiefern die EU dem von ihr gezeichneten Bild in der Begründung des Nobelkomitees momentan entspricht. 
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Reisen und Ausflüge in andere Länder kann man auch mit dem Schiff unternehmen. Die Grenzlinien vieler Staaten verlaufen nicht nur an Land, sondern auch im Wasser. Flüsse markieren manchmal sogar die Grenze - so ist das zum Beispiel bei der Mosel. Auf ihr wurde übrigens die erste wichtige Regelung zu den EU-Binnengrenzen unterzeichnet. Darum geht es jetzt.

1.2 Gemeinsame Binnengrenzen

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Das Bild zeigt ein Schiff unter deutscher Flagge, auf dem Regensburg steht.
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Urheber: Hans100

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kreuzhof_-_panoramio_-_Hans100_(2).jpg

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Auf diesem Schiff, das damals noch Princesse Marie-Astrid hieß, wurde 1985 das sogenannte Schengener Übereinkommen unterzeichnet. Es ist damit der eigentliche Gründungsort des Schengen-Raums.

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Im Video wird die Entstehung des Schengen-Raums erklärt. Es wird dabei auch auf die Veränderung der Debatten über Grenzen eingegangen. Mach dir beim Anschauen des Videos Notizen zu Stichworten „Wirtschaft“ und „Kriminalität“ und bearbeite dann die Aufgabe unter dem Video.

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Aufgabe

Nimm begründet Stellung zu folgenden Thesen:

  • These 1: Ein hohes Maß Freizügigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Wirtschaft. Darum sollten möglichst wenig Grenzkontrollen stattfinden.
  • These 2: Grenzkontrollen sind für die Bekämpfung von Kriminalität unabdingbar. Darum sollten möglichst viele Grenzkontrollen stattfinden.
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Zusätzlich zur Freizügigkeit in der EU haben Deutsche durch ihren Reisepass eine sehr große Reisefreiheit: Sie können also relativ unkompliziert in andere Länder einreisen. Menschen mit irakischem Reisepass haben es da zum Beispiel deutlich schwerer. Woran liegt das? Hör dir dazu einen weiteren Ausschnitt aus der Podcast-Folge vom Beginn dieses Kapitels an.

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In diesem Ausschnitt aus der Podcast-Folge von 'Schere Stein Politik' wird der deutsche Reisepass mit anderen verglichen.

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https://www.bpb.de/mediathek/podcasts/schere-stein-politik/539541/schere-stein-politik-der-reisepass/

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Bisher ging es meistens um Deutsche oder andere Bürgerinnen und Bürger in der EU. Sie genießen viele Freiheiten. Ist es da verwunderlich, dass diese Freiheiten attraktiv wirken für Menschen außerhalb der EU, gerade wenn sie in ihrem Herkunftsland keine gute Zukunftsperspektive für sich sehen?

1.3 Gemeinsame Außengrenzen

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Ein blaues Gummiboot, voll mit Menschen in Rettungswesten.
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Urheber: Tim Lüddemann

https://www.flickr.com/photos/timlueddemann/42345357871/in/photostream/

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Dieses Bild eines überfüllten Flüchtlingsboots im Mittelmeer wurde 2018 kurz vor der Rettung gemacht.

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Ein Schwarzweißfoto zeigt ein mit Menschen gefülltes Boot in Pillau im Jahr 1945. Die Menschen tragen Wintersachen.
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 146-1972-093-51 / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1972-093-51,_Pillau,_Einschiffung_von_Fl%C3%BCchtlingen.jpg

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Einschiffung von Flüchtlingen 1945 in Pillau, Ostpreußen (heutiger Name: Baltijsk, Russland)

Die Situation in Europa ist heute völlig anders als 1945. Statt Kriegsruinen und Armut gibt es überwiegend Frieden und Wohlstand. Flucht und Vertreibung nehmen die meisten Europäer heute eher als etwas wahr, das von außen kommt. Das war direkt nach dem Zweiten Weltkrieg noch anders. Damals gab es sehr viele europäische Flüchtlinge (z. B. Deutsche aus Ostpreußen). Hauptsächlich um sie zu schützen, wurde 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ins Leben gerufen. Erst 1967 wurde sie durch ein Protokoll erweitert, das den Wirkungsbereich zeitlich und geografisch ausweitete. Noch heute ist die Definition eines Flüchtlings zentral im Völkerrecht.

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Wer ist ein Flüchtling?

Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) definiert in Artikel 1 A 2

Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck „Flüchtling“ auf jede Person Anwendung [...], die [...] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

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Die EU gewährt ein Recht auf Asyl und nimmt dabei Bezug auf die GFK. Das wichtigste EU-interne Abkommen zum Umgang mit Asylanträgen ist ebenfalls nach seinem Unterzeichnungsort benannt: Dublin. 1990 unterzeichnet und seit 1997 in Kraft, legt es fest, dass derjenige EU-Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, in den eine Asyl suchende Person zuerst eingereist ist. Wird ihr Antrag dort abgelehnt, kann sie auch nicht in anderen EU-Ländern Asyl erhalten. Dies führt dazu, dass beispielsweise Mittelmeeranrainer wie Spanien, Italien oder Griechenland deutlich häufiger zuständig sind als etwa Deutschland oder die Benelux-Staaten.

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Einige Kinder gehen durch das Flüchtlingslager in der Nähe der griechischen Stadt Moria. Die Behausungen sehen nicht sehr stabil aus.
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Urheber: Faktengebunden

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lager_Moria_auf_der_Insel_Lesbos,_Griechenland_30.08.2020.jpg

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Im Flüchtlingslager Moria (hier ein Bild von 2020) auf der griechischen Insel Lesbos lebten bis zu 20.000 Menschen, obwohl das Lager nur für 2.800 gedacht war. Mittlerweile gibt es dieses Lager nicht mehr.

In der Praxis ist es daher oft so, dass jene Länder mit der großen Zahl an Flüchtlingen überfordert sind und nicht alle erfassen. An den Außengrenzen der EU sind die Flüchtlingslager immer wieder zum Teil dramatisch überbelegt. Hinzukommt, dass die Asylsysteme in den Mitgliedsstaaten – trotz Versuchen, das zu ändern – nicht vergemeinschaftet, sondern unterschiedlich funktionieren. Bisher gibt es keinen Mechanismus, der eine Weiterverteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU verbindlich regelt.

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Das Recht auf Asyl in der EU

Artikel 18 und 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Artikel 18 Asylrecht

Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „die Verträge“) gewährleistet.

Artikel 19 Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung

(1) Kollektivausweisungen sind nicht zulässig.

(2) Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

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Das Recht auf Asyl in Deutschland

Artikel 16a Abs. 1 und 2 Grundgesetz

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.


Anmerkungen:
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge:
Damit ist die Genfer Flüchtlingskonvention gemeint.
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten:
 auch bekannt als Europäische Menschenrechtskonvention.

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Aufgabe

  1. Eingangs ging es um Reisen. Jetzt geht es um Asylsuchende. Nenne mögliche Gründe, weshalb Menschen nach Europa fliehen. Dabei kannst du dir auch überlegen, was dich dazu bewegen würde, von deinem Heimatort wegzugehen.
  2. Das Recht auf Asyl in der EU und in Deutschland nehmen Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Überprüfe, wie viele deiner genannten Gründe von deren Definition eines Flüchtlings abgedeckt sind.
  3. Jedes Jahr suchen Menschen Asyl in Deutschland. Arbeitet in Gruppen und überlegt euch, wie ihr ein Asylverfahren gestalten würdet.
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Sieh dir nun zum Vergleich an, wie ein Asylverfahren in Deutschland tatsächlich aussieht. Es folgt einer bestimmten Reihenfolge. Am Ende des Verfahrens kann es zu verschiedenen Entscheidungen kommen. Diese findest du im nächsten Element.

Das Asylverfahren in Deutschland
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Freizügigkeit (Art. 45 der EU-Grundrechte-Charta) Wohn- und Residenzpflicht

(1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

(2) Staatsangehörigen von Drittländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden.

Asylsuchende müssen, solange ihr Verfahren läuft, bestimmte Pflichten erfüllen. Meistens müssen sie die ersten Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen (Wohnpflicht). In dieser Zeit besteht außerdem die sogenannte Residenzpflicht, das heißt: Die Person darf die Stadt oder den Landkreis, in dem sie untergebracht ist, nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen. Das gilt auch für kurze Reisen.

Asylsuchende sind also in den ersten Monaten häufig auf das Gebiet beschränkt, in dem die für sie zuständige Ausländerbehörde liegt. Die Residenzpflicht gilt auch für Geduldete für mindestens drei Monate und für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sogar solange, bis ihr Verfahren abgeschlossen ist.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012P/TXT

https://www.asyl.net/themen/asylrecht/asylverfahren/pflichten-von-asylsuchenden

Freizügigkeit (Art. 45 der EU-Grundrechte-Charta) Wohn- und Residenzpflicht
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Aufgabe

EU-Bürgerinnen und Bürger werden bei der Freizügigkeit anders behandelt als Menschen aus Nicht-EU-Ländern. Das trifft insbesondere auf Asylsuchende zu. Beurteile, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.