Ich bin Jonah. Ich war schon 14, als meine kleine Schwester geboren wurde. Mit Stefan, dem neuen Partner von meiner Mutter, versteh ich mich eigentlich ganz gut. Ich freu mich natĂŒrlich, wenn ich meinen Vater besuchen kann, aber spĂ€testens seit meine Mutter schwanger wurde, hab ich gemerkt, dass sie irgendwie glĂŒcklicher ist. Erst war ich nicht so begeistert von dem Baby, doch jetzt kann ich mir ein Leben ohne Milly gar nicht mehr vorstellen. Sie ist heute schon vier Jahre alt und in dieser Zeit ist ganz schön viel passiert.
Milly ist nĂ€mlich ein besonderes MĂ€dchen und kam mit einem Herzfehler und Trisomie 21 zur Welt. Vielleicht kennt ihr das als Down-Syndrom. Das bedeutet, dass ihr 21. Gen nicht nur doppelt, wie bei dir und mir, sondern dreimal existiert. Das gibt den betroffenen Menschen ein besonderes Aussehen, fĂŒhrt aber oft auch zu Fehlbildungen an verschiedenen Organen.
Ihr erstes Lebensjahr hat Milly fast komplett im Krankenhaus verbracht und musste zweimal am Herzen operiert werden. Wir hatten alle ganz schön Angst um sie! NatĂŒrlich war meine Mutter bei ihr, und ich hab sie ganz schön vermisst. StĂ€ndig ging es hin und her, von meinem Vater nach Hause, zu Stefan, dann manchmal auch zu Oma und Opa. Am liebsten war ich ĂŒbers Wochenende bei meinem besten Freund. Da konnten wir einfach zusammen am PC sitzen wie sonst auch und alles fĂŒhlte sich fast normal an, wie vorher.
Milly hab ich am Anfang immer nur kurz gesehen und mich gewundert, wie so ein kleines Wesen mein ganzes Leben so durcheinander bringen konnte. Meine Mutter hat mich immer wieder gefragt, ob es mir gut geht, aber so genau konnte ich das oft gar nicht beantworten. Sie hat sich sowieso immer so viele Sorgen um Milly gemacht.
Ich hatte manchmal das GefĂŒhl, dass da gar kein Platz mehr fĂŒr mich war und hab mir heimlich gewĂŒnscht, alles wĂ€re wieder wie vorher. Dann hab ich mich deshalb schlecht gefĂŒhlt.
Irgendwann wollte ich gar nicht mehr ĂŒber mein Leben reden. Alles ging auch irgendwie schief. In der Schule konnte ich mich nicht gut konzentrieren, schrieb schlechte Noten und hatte immer nur die HĂ€lfte meiner Sachen dabei. AuĂerdem war ich immer mĂŒde, weil ich nachts nicht richtig gut schlafen konnte und stĂ€ndig aufgewacht bin.
Meine Mutter und Stefan haben sich damals viel gestritten. Sie haben sich nach der ersten Zeit im Krankenhaus vor allem Sorgen um Geld gemacht, denn es war langsam klar, dass meine Mutter nicht so schnell wieder anfangen konnte, zu arbeiten.
Ich hab mir so gewĂŒnscht, schon alt genug fĂŒr einen richtigen Job zu sein! Dann hĂ€tte ich vielleicht helfen können...
Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer mit meinen Eltern sprechen wollten, hab ich gesagt, dass sie wegen meiner kranken Schwester keine Zeit hĂ€tten. Dann lieĂen sie mich eine Weile in Ruhe.